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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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ausholen und zuschlagen, mit der flachen Hand, immer abwechselnd rechts und links – die Sehnsucht danach wurde immer stärker. Helene atmete tief durch. Contenance, meine Liebe, Contenance! Hier durften solche Empfindungen keinen Platz haben. Sie waren wie Unkraut, bevor man sichs versah, überwucherten sie alles andere – und dann, plötzlich, schlug man zu.
    Die Kronprinzessin würde es gewiss nicht goutieren, wenn ihr Liebling geschlagen wurde, das war Helene bereits klar. Sie würde andere Mittel und Wege zur Zähmung ersinnen müssen.
    Sie führte das widerspenstige Kind zurück zum Tisch. Wie gern hätte sie es geschüttelt, bis es sein freches Grinsen verlor! Dieses frecheGrinsen, mit dem die Bälger ihr von jeher hatten sagen wollen, dass ihre Familien reich und voller Macht waren, während sie nur die arme »Rangen-Gouvernante« war. Ein Intermezzo in ihrem ach so wichtigen Leben, nicht mehr.
    Helene straffte die Schultern. Es stimmte, sie hatte den Platz im Leben ihrer Schützlinge nur für eine gewisse Zeit inne. Aber auf diesem Platz beharrte sie stets bis zum letzten Tag.
    Wera zog ihren Arm ruckartig fort, und Helenes Zeigefinger wurde dabei schmerzhaft umgebogen. »Lassen Sie mich los, Sie tun mir weh! Dass Sie mir Eugen weggenommen haben, werde ich meiner Tante sagen.«
    Wütend starrte Helene auf den Nagel ihres Zeigefingers. Abgerissen, durch Weras Heftigkeit.
    »Mach das«, sagte sie. »Dann sperre ich dein einarmiges Monstrum gleich für eine ganze Woche weg.«
    »Aber warum –«
    » Warum! Dieses Wort kannst du aus deinem Sprachschatz streichen. Das Warum hat ein Kind niemals zu interessieren, verstehst du? Außerdem: Hast du vergessen, was ich zuvor gesagt habe? Du darfst nur reden, wenn ich es dir erlaube.« Missbilligend schüttelte Helene den Kopf. »Wie kann ein Mädchen nur so ungezogen sein.«
    »Böse!« Weras Miene hellte sich kurz auf. »Maman nannte mich immer ein böses Kind.«
    Die Gouvernante stutzte. Wollte Wera sie auf den Arm nehmen? Oder hatte die Großfürstin das wirklich über ihre Tochter gesagt? Falls ja, standen die Dinge noch schlechter, als sie dachte …
    »Böse, unerzogen – diese Zeiten sind nun vorbei. Ich werde eine kleine Dame mit Anstand aus dir machen. Dein bisheriges Auftreten ist nämlich alles andere als damenhaft. Wie dir deine Gesichtszüge ständig entgleisen! Aufgerissene Augen, dazu diese schrecklichen Grimassen – furchtbar ist das. Eine junge Dame hat sich stets unter Kontrolle. Ein stilles, demütiges Lächeln ist die einzige Regung, die sich zukünftig ungefragt auf deiner Miene zeigen wird. Demut, Zurückhaltung und Anstand – darauf werden wir unser Hauptaugenmerk richten.«
    »Aberich –« Mit verkniffenem Mund senkte Wera den Kopf. »Wie soll man reden, ohne ›aber‹ zu sagen?«
    »Das wirst du schon lernen«, sagte Helene Trupow, während ihr Blick auf einem mehrflammigen Kerzenständer fiel. Das war eine Idee! Ruckartig zog sie zwei der Kerzen aus ihren Halterungen, dann legte sie diese in der Mitte des Raumes parallel zueinander zu Boden. Mit einem triumphierenden Lächeln winkte sie Wera zu sich.
    »Ich erlaube dir aufzustehen. Nun zeige ich dir eine Übung, die dir hilft, dich besser zu konzentrieren.«
    Sie legte beide Hände auf Weras knochige Schultern und drückte das Kind auf den Boden.
    »Das linke Knie auf die linke Kerze und das rechte Knie auf die rechte, so ist’s brav. Während du dort kniest, kannst du dir in aller Ruhe einschärfen, dass es absolut verboten ist, ›aber‹ zu sagen. Und wehe, ich höre es noch ein einziges Mal!« Sie bedachte Wera mit einem strengen Blick.
    »Mit hinter den Rücken gebundenen Armen konzentriert man sich noch besser, aber für heute belassen wir es bei der einfachen Übung. Falls du jedoch nicht folgsam bist …«
    Voller Genugtuung beobachtete sie, wie Wera ihren schwankenden Oberkörper ausbalancierte. Jede Bewegung musste in ihrem Knie schmerzen, doch kein Laut kam über Weras zusammengekniffene Lippen, kein Aufseufzen und kein Schmerzensjammer. Die Nichte des Zaren schien über ein hohes Maß an innerer Härte zu verfügen. Helene Trupow lächelte grimmig. Der Krug ging nur so lange zum Brunnen, bis er brach.
    Helene Trupow wandte sich von Wera ab und setzte sich wieder an den Tisch. Empört starrte sie auf die Unterlagen, die Evelyn von Massenbach ihr am Vorabend gebracht hatte. Ein bisschen Lesen, Rechnen und Musizieren – das sollten Unterrichtspläne sein? Helene

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