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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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plapperte Wera unaufhörlich.
    Es war einer der ersten Märztage. Noch immer streckten die Bäume ihre kahlen Arme aus, und eine dünne Schneeschicht hüllte die Wiesen des Parks wie mit einer weichen Daunendecke ein. Dennoch waren schon die ersten Frühlingsvögel zu hören, und wenn Evelyn die Augen schloss, sah sie im Geiste die ersten Blausternchen aus dem Gras hervorragen. Ach, wie sie sich auf die warme Jahreszeit freute! Sie streifte das Mädchen neben sich mit einem Seitenblick und sagte: »Es gibt eben Momente im Leben, in denen muss man still sitzen. Ob allerdings Madame Trupows Erziehungsmethoden geeignet sind, dir das beizubringen, bezweifle ich ebenso wie deine Tante.«
    Völlig aufgelöst, Wera fest an der Hand haltend, war die Kronprinzessin bei ihr erschienen, um alle Termine für den Rest des Tages abzusagen. Nur mit Mühe war es Evelyn gelungen, sie davon zu überzeugen, dass damit niemandem geholfen wäre. Ein bisschen Ablenkung war genau das, was sie alle brauchten. Danach und mit kühlem Kopf würde Olly, was Weras Gouvernante betraf, gewiss die richtige Entscheidung treffen.
    »Wir sind da. Zieh dich an, damit wir losgehen können«, sagte Evelyn und reichte Wera Handschuhe und Schal. Beim Anblick des englischen Landschaftsparks rund um das Schloss Rosenstein vollführte ihr Herz einen kleinen Sprung. In dieser grünen Insel mitten in der Stadt gelang es ihr besonders gut, das Gedankenkarussell im Kopf abzuschalten. Durchatmen, spüren, wie sich die kleinen Knötchen im Nacken lockerten, wie die Brust weit wurde unddie Sorgen von einem abfielen – um all das noch besser genießen zu können, hatte sie sogar ihr Korsett ein wenig gelockert.
    »Und jetzt genug von Madame Trupow und dem Stillsitzen. Auf unserem Spaziergang darfst du nach Herzenslust toben«, sagte Evelyn wohlwollend, fügte aber sogleich hinzu: »Deine Schlittschuhe kannst du allerdings im Wagen lassen, die brauchen wir nicht.«
    »Aber du hast gesagt, im Rosensteinpark gäbe es einen großen See.« Resolut hängte sich Wera die Schlittschuhe über die Schulter.
    »Aber, aber, aber! Manchmal hörst du dich wie ein dressierter Papagei an. Das Eis auf den Seen ist mittlerweile zu dünn zum Schlittschuhfahren. Und wenn du jetzt nicht brav bist, fahren wir auf der Stelle wieder nach Hause …«
    »Das würde Tante Olly nicht gefallen. Wo sie sich doch so sehr darüber freut, dass du einen Ausflug mit mir unternimmst«, sagte Wera mit der Miene eines Unschuldslamms.
    Kleines Biest!, dachte Evelyn bei sich.
    »Ausflüge können wir gern weiterhin unternehmen. Ins Museum, in die Oper, auch die Bibliothek können wir besuchen – such dir etwas aus«, sagte sie, wohl wissend, dass all ihre Vorschläge Wera ein Graus waren.
    »Du bist gemein«, murmelte Wera und warf ihre Schlittschuhe so heftig auf den Boden der Kutsche, dass die Kufen eine Kerbe ins Holz schlugen.
    Der Spaziergang verlief entgegen allen Befürchtungen harmonisch und fröhlich. Wera rannte wie ein Hund, der zu lange an zu kurzer Kette angebunden war, über die Wiesen, schüttelte Schnee von tiefhängenden Tannenzweigen, um dann die auf dem Boden entstandenen Schneehäufchen zu Bällen zusammenzukratzen. Sie brach außerdem von einer Lärche ein kleines Ästchen ab und steckte es sich in den Mund. »Ich rauche Pfeife, wie Papa!«, sagte sie und zeigte auf ihren Atem, der bei jedem Ausatmen kleine weiße Wölkchen bildete.
    Evelyn genoss die Märzsonne auf ihrem Gesicht und schaute Weralächelnd zu. Pfeife rauchen – noch nie hatte sie ein Kind mit solch einer Phantasie erlebt! Wera schien wirklich einen enormen Bewegungsdrang zu haben. Nur einmal, als sie sich zu nahe an den zugefrorenen See heranwagte, rief sie sie scharf zurück.
    »Wage es nicht, auch nur einen Fuß auf das dünne Eis zu setzen!«
    Murrend leistete Wera der Aufforderung Folge, doch schon im nächsten Moment richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf etwas Neues.
    »Dieses große Gebäude mit den vielen Säulen oben auf dem Berg – was ist das?«
    »Das ist Schloss Rosenstein. König Wilhelm hat es vor über dreißig Jahren erbauen lassen. Er hat diesen Platz für das Schloss ausgesucht, weil er von dort oben freie Sicht auf die Grabkapelle auf dem Württemberg hat, wo seine erste Gattin Katharina ihre letzte Ruhe fand. Siehst du den gegenüberliegenden Hügel dort? Dort stand einst die Stammburg der Württemberger. Nach Katharinas Tod hat König Wilhelm den letzten Mauerrest schleifen lassen, um

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