Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
Vom Netzwerk:
alles schön und gut, hatte Olly dem Grafen erwidert. Aber reichten diese Attribute aus, um dem jungen Mann ihre Wera anzuvertrauen?
    Dem Mann würde er jederzeit auch seine eigenen Neffen und Nichten anvertrauen, hatte Cäsar von Beroldingen Olly versichert.
    »Ein Spaziergang, eine Wanderung – so groß kann der Unterschied nicht sein, oder? Hauptsache, Wera kommt an die frische Luft und ist dabei unter Aufsicht«, sagte sie lächelnd, während sie den jungen Unteroffizier weiter in Augenschein nahm. Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass sie der Einschätzung ihres Stallmeisters vertrauen konnte, dachte sie zufrieden. Auch ihr erschien Lutz von Basten mit seinen lapislazuliblauen Augen, dem exakten Scheitel und den Grübchen auf beiden Wangen als vertrauenswürdig. Sein Blick war warm, dennoch fest und hatte nichts Verschlagenes. Der junge Mann wirkte anständig und souverän zugleich, er hatte aber auch eine Spur Weichheit an sich – etwas, was Olly nicht nur an ihrem Karl sehr schätzte.
    »Und ob es Unterschiede gibt! Für eine Wanderung würde Ihr Patenkind ordentliche Schuhe benötigen, Wanderstiefel wären noch besser. Eine Wanderung geht über Stock und Stein, man marschiert dabei Berge hinauf und wieder hinab. Eine Wanderung zieht sich über Stunden hin, ja sie kann sogar einen ganzen Tag dauern. Ein Spaziergang im Park hingegen dauert höchstens eine Stunde. Spazieren gehen kann jeder Greis.« Der verächtliche Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Wandern wiederum ist nur etwas für körperlich tüchtige Menschen. Dafür bedarf es einer guten Gesundheit, Ausdauer …« Mit großer Ernsthaftigkeit fuhr der junge Mann fort, Wandertugenden aufzuzählen.
    Halt! Aufhören!, hätte Olly am liebsten gerufen. Das ist alles völlig übertrieben. Wera ist ein Kind, ein Mädchen noch dazu. Stattdessensagte sie, als der Mann mit seiner imposanten Litanei zu Ende war: »Genau das schwebt mir für Wera vor. Ich werde für Sie beide eine Brotzeit einpacken lassen, so nennt man die Wegzehrung bei einer Wanderung doch, oder?« Sie schluckte tapfer. Niemand sollte ihr nachsagen können, sie hätte nicht alles Menschenmögliche für Wera versucht.
    *
    »Schon wieder Treppen?« Wera schnaubte unwillig. »Allmählich habe ich das Gefühl, Stuttgart besteht aus nichts anderem.«
    Lutz von Basten lachte. »Ihr Gefühl trügt Sie nicht. Stäffele gibt’s in Stuttgart wirklich mehr als genug. Das liegt daran, dass die Stadt unten im Kessel liegt. Ich warne Sie besser schon jetzt, Großfürstin – wir wollen bis nach ganz oben!« Er zeigte auf einen hohen, im Schatten liegenden Berg vor ihnen. »Falls Sie das Gefühl haben, dieser Steigung nicht gewachsen zu sein, sagen Sie es besser gleich. Als meine Brüder in Ihrem Alter waren, waren sie durchaus fähig, solche Anstrengungen zu meistern, aber ob Sie …« Mit einem skeptischen Schulterzucken ließ er den Satz ausklingen. »Vielleicht sind Sie für eine Wanderung doch noch zu klein?«
    Zu klein – das hatte sie sich in St. Petersburg von ihrem Bruder Nikolai und Olgata auch immer anhören müssen!
    »Oh, keinesfalls«, beeilte sich Wera zu sagen und nahm zwei Stufen auf einmal. Mit der Hand schob sie den Rucksack zurecht, in dem Eugen von Montenegro mit angezogenen Beinen saß. Die Lederriemen des Rucksacks drückten auf ihren Schultern, der Rock und die dazu passende Strickjacke aus grobem Wollstoff – von Frau Öchsele speziell für ihre Wanderung ausgesucht – juckten fürchterlich. Durst hatte sie auch. Aber Wera hütete sich, einen Ton zu sagen.
    Eine Wanderung! Ein Ausflug! Mit einem jungen Unteroffizier, der eine richtige Uniform trug, so wie ihr Papa. Noch immer konnte sie ihr Glück nicht fassen, das sie mir nichts, dir nichts aus den Fängen der Trupow befreit und auf Stuttgarts Straßen – oder besser gesagt Stäffele – katapultiert hatte.
    DerWeg führte sie treppauf, dann ein Stück über Kopfsteinpflaster, immer vorbei an idyllischen Bürgerhäusern, herrschaftlichen Villen und kleinen Hanggärten, die von Trockenmauern gehalten wurden. Überall schwirrten Schmetterlinge herum. Einmal sah Wera eine kleine Eidechse, doch als sie nach ihr fassen wollte, verschwand sie flugs in einer Mauerritze.
    Lutz von Basten lachte. »Die fangen Sie nie! Der Weg, den wir gerade nehmen, heißt übrigens Schimmelhüttenweg. Stellen Sie sich vor, es gibt ihn schon seit über drei Jahrhunderten. In früheren Zeiten war dies ein wichtiger Fahrweg,

Weitere Kostenlose Bücher