Die russische Herzogin
Platz. Dort sollte der Pfarrer stehen, der gleich erwartet wurde.
Ob es hier beim Abendmahl auch so leckeres Weißbrot wie in Russland gab, fragte sich Wera, die mit den Beinen baumelnd zwischen Karl und Olly saß. Karls Geschwister Marie, Katharina und Sophie waren ebenfalls anwesend. Dazu Pauline und Wily, der aussah, als fühlte er sich gar nicht wohl in seiner Haut. Wera hingegen war sehr zufrieden damit, hier zu sein. Alles war besser, als unter Madame Trupows Aufsicht das Nadelkissen zu besticken, dessen Fertigstellung sich ewig hinzog. Wozu musste man den Stoff mit gelben Tulpen verzieren, wenn das Kissen später brutal von Nadeln durchstochen wurde? Für Wera war dies nur ein weiterer Beweis dafür, wie nutzlos die Lehrstunden der Trupow waren.
Margitta sah das anders. »Es ist doch gut, wenn du nähen lernst«, hatte die Freundin am Vortag gesagt. »Ich bin recht geschickt mit Nadel und Faden. Wenn ich einmal groß bin, werde ich mit meinen Näharbeiten viel Geld verdienen. Und dann kann Vater mir nichts mehr anhaben.«
»Ich muss aber kein Geld verdienen, und mit Nähen schon gar nicht«, hatte Wera gemurrt. Dass Margitta bereits genau wusste, was sie mit ihrem Leben vorhatte, ärgerte sie. Doch im nächsten Moment verflog die schlechte Laune wieder. Margitta sagte nämlich: »Wenndu magst, erledige ich die Stickarbeit für dich, Blumen und Ranken sind kein Problem für mich.« Dann biss sie in den Apfel, den Wera ihr mitgebracht hatte.
Glückselig hatte Wera die Freundin umarmt. Doch als sie vorhin das vermaledeite Kissen mit auf den Dachboden hatte schmuggeln wollen, war von Margitta keine Spur zu sehen gewesen. Dabei waren sie doch verabredet! Wera zog eine Grimasse. Verlass war auf Margitta weiß Gott nicht …
Wie seltsam die Erwachsenen Wilhelm anstarrten. Pauline hatte die Hände wie zum Gebet gefaltet und schaute engelsgleich drein. Dabei seufzte sie immer wieder tief auf.
Die Kerzen, das Halbdunkel, der Geruch von Weihrauch, der in der Luft hing – war Wilhelm etwa schon tot? Oje, hatte sie etwas verpasst? Aufgeregt beugte sich Wera nach vorn.
Just in dem Moment schlug Wilhelm die Augen auf und blinzelte Sophie an.
»Amalie? Warum … trägst du deine Haare so streng, du weißt doch, dass ich deine wilden Locken liebe –« Die nächsten Worte des Königs verschluckte sein Husten.
»Vater, ich bin’s! Sophie, deine Tochter«, versuchte Sophie sowohl den Hustenanfall ihres Vaters als auch Paulines entsetztes Zischen zu übertönen.
Der König holte indessen einen zerknitterten Briefumschlag unter seiner Bettdecke hervor.
»Für dich, mein Liebling, deine monatliche Pension.«
»Aber Vater, ich bin’s doch …«
Wera hörte dem Wortwechsel atemlos zu.
»Was hat das zu bedeuten?«, flüsterte sie Olly zu, bekam jedoch keine Antwort, da ihre Tante lieber angestrengt ihre Fingernägel begutachtete und derweil versuchte, das Zucken um ihren Mund unter Kontrolle zu bekommen. Und warum schaute Karl so verschämt zur Seite, das hier war doch hochinteressant! Ratlos und neugierig zugleich wanderte Weras Blick weiter. Oje, die Königin sah aus, als würde sie gleich vor Wut platzen, von engelhafter Miene keine Spur mehr.
»Daselende Bayernweib! Selbst in diesem Augenblick kann er nicht von der Teufelin lassen!«
Jetzt erst verstand Wera:
Wilhelm verwechselte die Tochter mit seiner Geliebten Amalie von Stubenrauch! Deshalb sah Pauline aus, als würde sie am liebsten vor Abscheu auf den Boden spucken. Wera kicherte und bekam von Karl einen Stoß in die Rippen.
»Meine liebe Sophie! Die Einzige, die mich noch besucht …« Wilhelms Augen glitzerten.
»Aber Vater, wir sind doch auch da«, sagte Katharina und machte eine Handbewegung in Richtung ihrer Geschwister. »Und schau, dein Enkel Wily.«
Knurrend winkte Wilhelm ab.
»Wie geht’s meiner holländischen Königin?«, fragte er Sophie. Während Tochter und Vater zärtliche Worte austauschten, saßen die anderen wie begossene Pudel daneben. Wie aufschlussreich – Sophie war also Wilhelms Lieblingstochter. Wera betrachtete Karls Halbschwester mit neuem Interesse.
Irgendwann begann Wilhelms unsteter Blick durch die Runde zu wandern. »Die Wera – bisch du au gekommen …«
Wera war immer sehr beeindruckt, wenn der König Dialekt sprach. So beeindruckt, dass sie heimlich die Mundart geübt hatte. Nun sagte sie in breitestem Schwäbisch:
»Grüß Gott, Herr König, i bin au da!«
Wilhelms Lachen war nur von kurzer
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