Die russische Herzogin
Eines war von Wassili Schukowski gewesen. Olly konnte sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern, wusste aber noch, dass es um das Betreten eines neuen, fremden Landes ging.
Iwan – dass sie ihn ausgerechnet hier und heute wiedergetroffen hatte … Er sah noch besser aus als früher. Iwan … Wie es in ihrem Bauch kribbelte, kaum dass sie seinen Namen dachte! Olly runzelte die Stirn. War sie etwa so töricht zu glauben, dass man eine alte Liebe auffrischen konnte? Und selbst falls das möglich wäre, zu welchem Ergebnis würde es führen?
Am besten war es, sie ging Iwan Bariatinski für den restlichen Kuraufenthalt aus dem Weg.
*
»König Ludwig I. hat Bad Kissingen wirklich zu einer luxuriösen Oase der Erholung ausbauen lassen. Man kann förmlich sehen, wie mit jedem Tag die Sorgen weiter von den Gästen abfallen.«
Evelyn seufzte wohlig auf, während sie am Arm von Fürst Gortschakow unter den Arkaden promenierte. Ein Stück weiter vorn spaziertenOlly und Karl in angeregter Unterhaltung mit Kosty und Sanny. Zu dem von Olly angekündigten Eklat zwischen den Geschwistern war es zum Glück nicht gekommen, stattdessen unternahmen das Kronprinzenpaar und die Zarenfamilie viele Dinge gemeinsam. Fürst Iwan Bariatinski war ebenfalls sehr oft mit von der Partie. Dabei schien es fröhlich zuzugehen, denn Ollys perlendes Gelächter verzauberte die Anwesenden immer wieder. Im Kreis ihrer Lieben langte die Kronprinzessin beim Essen herzhafter zu als sonst, nach zwei oder drei Gläsern Rotwein am Abend schlief sie tiefer als sonst, und sie wirkte schon nach knapp zwei Wochen so frisch und erholt wie lange nicht mehr. Und aufgekratzt war sie, wie ein junges Mädchen! Vergessen war der Ärger um Wera, vergessen auch die Gemeinheiten des Königs, selbst die Differenzen unter den Eheleuten schienen hier geringer zu wiegen. Eve konnte sich nicht erinnern, wann sie Olly das letzte Mal so fröhlich gesehen hatte.
»Es war die richtige Entscheidung gewesen, hierherzukommen.« Und das Kind zu Hause zu lassen, fügte sie im Stillen hinzu.
»Es freut mich, liebe Evelyn, dass Sie ein so sorgenfreies Leben führen. Leider kann ich diesen Zustand nicht teilen und das gleich aus mehreren Gründen. Mir gefällt überhaupt nicht, wie Fürst Bariatinski um die Kronprinzessin herumscharwenzelt. Ständig sieht man ihn und Olly zusammen.«
Evelyn lachte. »Lieber Fürst, Sie klingen wie ein eifersüchtiger Vater. Die beiden kennen sich seit Jugendzeiten, da ist es doch verständlich, wenn sie sich nach all den Jahren viel zu sagen haben.«
»Jugendzeiten, pah! Iwan ist ein alter Verehrer von Olly.«
Und selbst wenn, dachte Eve. Was war schon dabei, dass sich die Kronprinzessin ein wenig umschwärmen ließ? Iwan Bariatinski war attraktiv und stets gut gelaunt – das war mehr, als man über Karl sagen konnte. Außerdem durfte man davon ausgehen, dass die Kronprinzessin in allem, was sie tat, diskret sein würde. Sollte sie sich doch ein paar schöne Stunden machen.
»Die schwerwiegenderen Gründe für meinen Unmut liegen jedoch in Stuttgart«, sagte der Fürst jetzt.
»Ichverstehe nicht …?« Die Ahnung, dass sich der sonnige Tag gleich deutlich verfinstern würde, ließ Evelyn die Stirn runzeln.
Gortschakow schaute von oben auf sie herab. »Oh, ich denke, Sie verstehen sehr wohl. Ich rede von den Verhältnissen, die bei Ihnen herrschen, tout le monde redet schon darüber, dass sich Großfürstin Olga derart narren lässt. Aber wann immer ich einen Anlauf mache, mit ihr zu sprechen, weicht sie mir aus. Sie habe keine Lust, ›Problemgespräche‹ zu führen – mit diesen Worten hat sie mich erst gestern stehenlassen.« Fürst Gortschakow, einer der mächtigsten Männer der Welt, klang ehrlich entrüstet.
Während sie weiterschlenderten, arbeitete Evelyns Verstand fieberhaft. Stuttgarter Verhältnisse? Problemgespräche? Davon hatte Olly ihr gar nichts erzählt. Ging es um den Gesundheitszustand des Königs? Um Wera? Um Karls schwache Position im politischen Gefüge? Oder missfielen Gortschakow die spiritistischen Sitzungen, denen Karl so begeistert beiwohnte?
»Ihr Schweigen zeigt, dass auch Sie mit Ihrem Rat am Ende sind, verehrte Baronin«, sagte Gortschakow. »Ich verstehe Olga allmählich wirklich nicht mehr. Wie kann sich die Zarentochter gefallen lassen, dass Karl hinter ihrem Rücken … krankhafte Beziehungen unterhält, die –« Angewidert winkte der alte Mann ab.
Krankhafte Beziehungen! Hier ging es nicht
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