Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
Vom Netzwerk:
und zog ein kleines in Leder gebundenes Buch hervor. Mit gezücktem Stift schaute sie den Bettlägerigen an. Ob ihr ein Gedicht über das Sterben gelingen würde? Engel müssten darin vorkommen, Totenglocke n und vielleicht auch der Teufel .
    Wie es wohl war, zu sterben? Ob Wilhelm hinter seinen geschlossenen Augen schon den Gevatter Tod vor sich sah? Würde er sich an sie, Wera, klammern und sie mitnehmen wollen? Würde er vor Schmerzen laut schreien, so dass es ihr in den Ohren weh tat? Oder würde alles so schnell gehen, dass sie gar nichts mitbekam? Ein leises Schauern rann Weras Rücken hinab, und einen Moment lang wünschte sie sich, bei Eugen von Montenegro in ihrem Zimmer in der Villa Berg zu sein. Sie war schon fast im Begriff zu gehen, als Wilhelm plötzlich die Augen aufschlug.
    »Wera! Dass ausgerechnet du heute Nacht bei mir bist, passt gut«, sagte er und klang dabei fast vergnüglich. »Ein alter Griesgram wie ich und ein hässliches Kind …« Sein Lachen ging in einem Röcheln unter.
    Wera schaute ihn stirnrunzelnd an. Hatte Wilhelm den Verstand völlig verloren? Im nächsten Moment spürte sie seine verschwitzte Hand auf ihrer Rechten.
    »Brauchst nicht so besorgt dreinzuschauen, mein liebes Kind. Ich bin froh, wenn’s vorbei ist. Lange habe ich mich gesträubt, aber nun habe ich all die Speichellecker, Feiglinge und Nichtsnutze so satt,dass ich es kaum erwarten kann, heimzugehen zu meiner stolzen, klugen und aufrechten Katharina. Sie war die wahre Liebe meines Lebens …« Die lange Rede hatte den alten Mann so sehr angestrengt, dass ein weiterer Hustenanfall folgte.
    »Aber … heißt das, du hast dich bewusst hierher ins Schloss Rosenstein zurückgezogen, damit die Prophezeiung der Wahrsagerin in Erfüllung geht?«, fragte Wera erschrocken.
    Wilhelm zog lautstark Rotz nach oben. »Es war nicht irgendeine Wahrsagerin, die mir den Tod hier oben vorhergesagt hat. Es war die berühmte Madame Lenormand. Ich bin bereit …«
    Die Tür ging auf, und zu Weras Unmut kam Dr. Elsässer zurück. Zu gern hätte sie noch einen Moment mit Wilhelm allein verbracht, hätte mit ihm über die Wahrsagerei und die große Liebe gesprochen. Sie räusperte sich.
    »Ich habe ein Gedicht geschrieben, es heißt ›Der Wanderer‹ und ist für dich und Katharina. Willst du es hören?«
    Der König grummelte etwas, was Wera als Zustimmung auslegte.
    »Es steht der Mond am Himmel
    Und alles schläft in Ruh –
    Du armer müder Wand’rer,
    Weshalb schläfst nicht auch Du?
    Ich blicke zu den Sternen
    Mit Wehmuth still empor,
    Und aus dem Auge brechen
    Die Thränen mir hervor …
    Ich denke an die Theure,
    Die mir vom Himmel winkt,
    Aus diesem gold’nen Sterne,
    Der mir entgegen blinkt … «
    Ein wenig verlegen legte Wera ihr Notizbuch weg.
    Der König hatte Tränen in den Augen. »Das ist von dir? Du bist einkluges Mädchen. Ja, meine Katharina ist wirklich wie ein gold’ner Stern. Sie winkt mir zu, sie ruft nach mir …«
    Wachzustände wechselten mit Phasen unruhigen Schlafs ab. Wera teilte ihre Kekse mit Dr. Elsässer, der inzwischen zu der Überzeugung gekommen war, dass es sich doch um die letzte Nacht des Königs handelte.
    »Unser geliebter König hat seinem Schicksal lange genug getrotzt, vielleicht ist es nun tatsächlich an der Zeit für ihn heimzukehren.« Elsässer sah sorgenvoll drein. »Eigentlich müsste ich jetzt erneut die Verwandten rufen lassen«, sagte er, beließ es aber dabei, statt seinen Worten Taten folgen zu lassen.
    Ungewöhnlich in sich gekehrt saß Wera da. Wenn Wilhelm jetzt starb, würde man ihr einen Vorwurf machen können? Würde es wieder einmal heißen »Du bist schuld, du böses Kind«? Wie oft hatte sie diesen Satz zu Hause in St. Petersburg zu hören bekommen. Und auch hier, in Stuttgart, leierte die Trupow ihn ständig herunter. Einzig Olly hatte noch nie behauptet, sie sei an etwas schuld.
    Olly … Wenn der König starb, würde sie Königin werden.
    Was hatte das nun wieder zu bedeuten?
    Mit geschlossenen Augen versuchte Wera, sich Olly auf dem Königsthron vorzustellen. Das Bild gelang ihr vorzüglich. Die schöne, stolze Zarentochter! Karl, den sie an Ollys rechte Seite platzierte, erschien hingegen verschwommen und vage.
    Tapfer hielt Wera Wilhelms Hand, während tausend Gedanken durch ihren Kopf tosten.
    Einmal noch öffnete Wilhelm seine Augen. Mit erstaunlich klarem Blick schaute er Wera an.
    »Du bist ein feiner Mensch, kleine Wera. Deshalb gebe ich dir einen guten

Weitere Kostenlose Bücher