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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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genau hinschaute, waren die feinen Herrschaften nicht besser als der Ofenheizer und sein Weib. Mit geschürzten Lippen gab Helene ein Geräusch von sich, woraufhin sich Wera zu ihr umdrehte.
    »Wir sollten gehen«, mahnte Helene. »Es wird höchste Zeit, dass du ins Bett kommst. Gegessen hast du auch noch nichts. Hast du keinen Hunger?«
    Wera schüttelte den Kopf. »Ich kann Wilhelm nicht alleinlassen. Nicht heute Nacht, nicht hier. Madame Trupow, verstehen Sie denn nicht: Wenn der König hierbleibt, wird er sterben!«
    »Du und deine blühende Phantasie. Von einem Umzug stirbt man doch nicht«, sagte die Gouvernante und zog ihren sich widerstrebenden Zögling vom Bett fort, damit der Kammerdiener des Königs unter den wachsamen Augen des Leibarztes einen frischen Wickel auf Wilhelms Brust legen konnte.
    Dass sich der König von einem Tag auf den anderen dazu entschlossen hatte, aus der Stadt hinaus ins unbewohnte, kalte und unwirtliche Schloss Rosenstein zu ziehen, war in Helenes Augen nur eine weitere königliche Verrücktheit. Sie konnte sich die Eile, mit der Bedienstete diesen Saal hier bewohnbar gemacht hatten, nur allzu gut vorstellen. Die weißen Stofftücher, mit denen die wenigen vorhandenen Möbel abgedeckt gewesen waren, lagen noch zusammengeknüllt in einer Ecke. In der Nähe der drei schmalen, hohen Fenster, wo des Königs Bett stand, zeugten Striemen auf dem Parkettboden von hektischem Möbelrücken. Es war kalt und roch nach Staub, in den Kronleuchtern prangten keine Kerzen, einzig auf die Fenstersimse hatte man eilig ein paar dicke Stumpen auf groben Untertassen gestellt, gerade so, als wären Kerzenleuchter hier Mangelware. Bestimmt konnte auch die Speisekammer außer ein paar verhungerten Mäusen nichts vorweisen – wozu auch? Hier lebte ja niemand. Weder Dr. Elsässer noch der Kammerdiener des Königs, der als einziger Bediensteter aus dem Stuttgarter Schloss mitgekommen war, sahen sehr glücklich aus. Aber warum hatte niemand den alten König von diesem Umzug abgehalten?Helene konnte sich auf die ganze Situation keinen Reim machen.
    Igor Titow wartete. Auf sie.
    Die Gouvernante beäugte ihren Schützling, der erneut auf der Bettkante des Kranken saß, für einen langen Augenblick. Dass Wera ausreichend Ausdauer hatte, um hier zu verweilen, wäre vor ein paar Monaten auch noch nicht möglich gewesen. Doch inzwischen war Wera auf dem Weg der Besserung: Sie las Bücher, anstatt sie zu zerfetzen. Sie schrieb Gedichte, anstatt Ratten zu zeichnen, und letzte Woche hatte sie gefragt, wann denn ihre Tanzstunden beginnen würden. Tanzstunden? Helene hatte geglaubt, nicht richtig zu hören. Fruchteten ihre Bemühungen also doch? Ihr Zögling wurde damenhaft, und das trotz dieser lächerlichen Spaziergänge mit dem hünenhaften Soldaten. Noch immer hielt sie das für eine Schnapsidee.
    »Also gut, falls Dr. Elsässer nichts dagegen hat, darfst du dem König heute Nacht Gesellschaft leisten. Wenn du müde wirst, kannst du dich auf die Chaiselongue legen. Und falls du Hunger bekommst, hier hast du etwas!« Mit einem Hauch Bedauern zog sie die Schachtel Kekse, die Igor ihr am Vortag aus der feinsten Konditorei der Stadt mitgebracht hatte, aus ihrer Tasche und drückte sie der verwunderten Wera in die Hand. »Ich hole dich morgen früh um Punkt acht Uhr wieder ab!«
    Bevor Dr. Elsässer etwas gegen dieses Arrangement einwenden konnte, rauschte Helene Trupow ab. Wenn sie sich beeilte, würde sie es doch noch bis zehn Uhr schaffen.
    *
    »Stirbt er jetzt?«, flüsterte Wera dem Arzt aufgeregt zu, nachdem dieser Wilhelm mühselig ein paar Schlucke Wasser eingeflößt hatte.
    Der Arzt schaute ungeduldig auf sie herab. »Unser König ist sehr krank. Er hat Schleim in der Brust, sein Steinleiden quält ihn sehr, und wenn es mit diesen Anfällen so weitergeht –« Elsässer zuckte mitden Schultern. »Andererseits hat unser König schon viele solche Nächte überlebt, wir sollten die Hoffnung daher nicht zu früh aufgeben.«
    Während der Arzt auf der Schlossterrasse eine Pfeife rauchte, ging der Kammerdiener in die Küche, um warmes Wasser für eine Waschung des Kranken zu erbitten.
    Wera blieb allein am Bett des Kranken zurück. Dieses Keuchen! Jeder Atemzug schien Wilhelm schwerzufallen. Was, wenn er plötzlich damit aufhörte? Unruhig schaute sie aus dem Fenster. Gott sei Dank, der Arzt war noch da!
    »Keine Angst, du bist nicht allein«, sagte sie zu Wilhelm. Als er nicht reagierte, kramte sie in ihrer Tasche

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