Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
wurde.
Egal ob professioneller Optimismus oder qualifizierte medizinische Einschätzung, Dr. Hoffmann hatte recht behalten, er war lebendig im neuen Jahr angekommen. Unglaublich. Seit Weihnachten war es ihm verdammt schlecht gegangen, in der vergangenen Woche hatte Dr. Hoffmann jeden Tag öfter vorbeigeschaut, schon an sich ein schlechtes Zeichen, und bei jeder Visite ein besorgteres Gesicht gemacht. Soweit er es verstanden hatte, war das Problem nicht direkt sein verdammter Prostatakrebs, Folge seines Alters von immerhin zweiundachtzig Jahren und von zu oft verschobenen Besuchen beim Urologen, sondern es hing mit der Schwächung des Körpers durch die Chemotherapie zusammen. Irgendwelche Bakterien hatten die Chance ergriffen, sich in seiner Lunge festgesetzt und von dort aus seine Organe vergiftet. »Sepsis«, hatte Dr. Hoffmann gemurmelt und mit einem Dr. Valenta von der Intensivstation das weitere Vorgehen diskutiert.
Dieser Dr. Valenta wollte ihn auf die Intensivstation übernehmen,aber Dr. Hoffmann hatte abgelehnt: Das sei ein zu großer Streß für seinen Patienten, die notwendigen Medikamente könne er auch hier bekommen. So war er an diese Infusionspumpe angeschlossen worden. Tatsächlich kümmerten sich die Schwestern sehr aufmerksam um ihn, sicher liebevoller als das abgestumpfte Personal auf der Intensivstation.
Aber nun leuchtete plötzlich dieses rote Lämpchen. Sollte er sich Sorgen machen? Sicher nicht. Irgendwo würde auf einem Monitor jetzt auch eine Kontrollampe blinken, gleich würde jemand kommen und die Sache in Ordnung bringen. Falls überhaupt etwas in Ordnung zu bringen war. Er kannte sich aus mit plötzlich aufleuchtenden Kontrollämpchen, schließlich hatte er fast fünfundzwanzig Jahre seines Lebens im Cockpit von Flugzeugen verbracht: Rote Lämpchen für ein angeblich klemmendes Fahrwerk, das tatsächlich komplett ausgefahren und eingerastet war. Rote Lämpchen für warmgelaufene Triebwerke, die vollkommen normal arbeiteten. Rote Lämpchen haben ein ausgeprägtes Eigenleben. Das sicherste Mittel war noch immer ein kräftiger Schlag auf die Armaturen gewesen, oder sie einfach zu ignorieren. Außerdem hatte erst vor kurzem eine Schwester seine Infusionspumpe überprüft. Um ihn nicht zu stören, hatte sie das Licht nicht eingeschaltet und eine von diesen Minitaschenlampen benutzt.
Er schaute erneut zur Uhr auf dem Nachttisch. Hatte die plötzlich auch einen Defekt? Jedenfalls konnte er die Minutenanzeige kaum erkennen. Auch schienen jetzt zwei Kontrollämpchen zu leuchten. Es wurde wirklich langsam Zeit, daß sich jemand um die Sache kümmerte. Wie hatte er annehmen können, daß es auf dieser Station einen Zentralmonitor gäbe, auf dem auch eine Kontrollampe blinkte? Er lag schließlich in der Abteilung für chronisch Kranke, da war sicher schon dieser Infusionsautomat ein Luxus! Und wahrscheinlich aus der Steinzeit der Medizin! Wo war nur der verdammte Rufknopf für die Schwestern? Sonst hing der immer direkt neben seiner rechten Hand, aber da war nichts. Irgend etwas lief ernstlich falsch.
Er versuchte zu rufen, brachte jedoch lediglich ein unartikuliertes Stöhnen heraus, unmöglich, daß ihn jemand hörte. Warum nur war er Privatpatient mit eigenem Zimmer, ohne einen Mitpatienten, der jetzt helfen könnte! Wahrscheinlich wäre die Intensivstation doch besser gewesen. Er versuchte aufzustehen. Keine Chance, verdammte Schwäche!
Inzwischen blinkt ein ganzer Weihnachtsbaum von Lämpchen, langsam verliert er die Kontrolle über die Maschine. Links und rechts tauchen englische Spitfire auf, spucken ihm ihre MG-Salven entgegen, unter ihm ist ganz London von Brandherden erleuchtet. Was ist eigentlich mit dem Kopiloten? Schläft der? Unvorstellbar, der muß getroffen sein. Hat er überhaupt einen Kopiloten? Blödsinn, er ist doch Privatpatient im Einzelzimmer! Die Maschine geht in ein unkontrolliertes Trudeln über, verliert rasend an Höhe. Seine Hände am Steuerknüppel gehorchen ihm nicht, er muß sofort aussteigen. Aber das Kabinendach klemmt, und er ist zu schwach, es zu öffnen. Immer mehr englische Jäger beteiligen sich an der Jagd auf ihn, immer dichter rast seine Messerschmitt auf das brennende London zu. In wenigen Sekunden wird sein Körper zerquetscht, in tausend Stücke zerrissen, in brennendem Flugbenzin verbrannt sein. Hatte er eigentlich die Bomben ausgeklinkt?
Plötzlich erlöschen die eben noch nervös blinkenden Warnlämpchen. Das Flugzeug liegt wieder stabil auf
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