Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
runtergegeben habe. Führen Sie Buch über ein und ausgehende Akten?«
Frau Tönnig verlor die Geduld: »Wann, meinen Sie, würden Sie Ihre Akten bekommen, wenn wir hier auch noch Buch führen würden? Ich arbeite mit zwei ABM-Kräften. Wenn ich Glück habe, bekomme ich sogar welche, die das Alphabet können. Sonst lernen sie es hier, und wenn sie es endlich halbwegs beherrschen, muß ich sie schon wieder abgeben, und die Sache geht von vorne los. Sie können sich gerne bei der Klinikleitung beschweren, am besten gleich bei Dr. Bredow. Ja, tatsächlich, Sie würden mir einen Gefallen damit tun. Müssen Sie denn auf der Station mit ABM-Kräften arbeiten?«
Nicht mit ABM-Kräften, aber mit AIPlern, und das ist mindestens genauso schlimm, aber ich sagte nichts.
»Also bitte, gehen Sie zu Dr. Bredow. Aber ich gebe Ihnen einen Rat: Durchforsten Sie vorher ihren Schreibtisch und Ihre Schränke. Da werden Sie Ihre Akte finden. Guten Tag.«
Wenigstens im Krankenhaus waren die Zeiten vorbei, als man nur aus der Tatsache, Doktor zu sein, Autorität bezog. Meine Akte hatte ich jedenfalls nicht.
Ich war zwar sicher, daß ich die Akte von Mischa damals ins Archiv gegeben hatte, aber vielleicht zu einer Zeit, als ihre ABM-Mitarbeiter noch nicht ganz firm mit dem Alphabet waren. Trotzdem, immerhin war auch mein Leichenschauschein für Mischa verschwunden. Ich sollte langsam die noch vorhandenen Unterlagen sichern. Zum Beispiel Schreibers Bericht von seinem Einsatz bei Mischa kopieren. Also stattete ich dem Notarztwagenaufenthaltsraum einen erneuten Besuch ab.
Zu spät. Den Einsatzbogen vom Notarztwageneinsatz Nr. 1726/00 am 12. Juni in der Pension Elvira, Uhlandstraße, gab es in dem Ordner nicht mehr. Natürlich, auch Einsatzprotokolle können verschwinden, aber die Verlustrate von Unterlagen im Fall Mischa schien mir erstaunlich hoch.
Ich rief Celine an. Hatte sie noch Lust auf einen Wein in der Stadt? Ja, hatte sie. Schön, sagte ich, treffen wir uns gegen acht am Steinplatz. Das gab mir noch eine gute Stunde Zeit.
Das Haus Uhlandstraße 141 machte einen unverändert tristen Eindruck, auch mein Empfang in der Pension Elvira war unverändert herzlich.
»Guten Abend. Ich komme noch einmal wegen Mischa Tschenkow. Es ist wirklich wichtig.«
Tatsächlich legte der Kerl an der Theke seine russische Zeitschrift beiseite. Allerdings nicht, um mir seine Aufmerksamkeit zu widmen. Er verschwand durch eine Tür hinter der Rezeption.
Vielleicht sollte ich erwähnen, daß ich ziemlich stur sein kann. Also nahm ich mir seine Illustrierte und setzte mich vor seinen Tresen. Vollbusige Blondinen warben für die unverzichtbaren Grundlagen des Überlebens: Autos aus Korea und Japan, Fernsehgeräte, Videorecorder, Handys, auch alles aus Asien. Russische Produkte schienen kaum eine Rolle zu spielen. Oder sie warben ohne Abbildungen, dann konnte ich sie nicht von einer Traueranzeige unterscheiden.
Ich hatte mich etwa durch die Hälfte seiner Zeitschrift gearbeitet, als Mister Empfangschef wieder seine Position hinter dem Tresen einnahm, jetzt in Begleitung von zwei jungen Kerlen. Es schienen mir die beiden zu sein, die neulich vor dem Hauseingang herumgelungert hatten.
»Und – wie lange hat Mischa Tschenkow hier gewohnt? Wann ist er krank geworden?«
Ich glaube immer erst einmal an das Gute im Menschen. Kann ja wirklich sein, der Kerl spricht kein Deutsch, deshalb hat er die jungen Männer geholt.
»Ich komme wegen Mischa Tschenkow, der hat doch hier gewohnt? Sie werden sich an ihn erinnern – er hat die letzte Zeit ziemlich gelb ausgesehen.«
Die beiden jungen Männer schauten mich kaum an. Eigentlich schauten sie mehr auf meinen Freund, den Empfangschef, als erwarteten sie eine Order von ihm.
»Ich bin nicht hier, um Ihnen oder sonst wem Schwierigkeiten zu machen. Ich muß einfach wissen, wann Mischa Tschenkow krank geworden ist und warum.«
Keine Reaktion. Ich baute weiter darauf, daß wenigstens einer meiner drei Gegenüber Deutsch verstand.
»Es kann sehr gut eine Infektion gewesen sein. Bakterien. Er könnte Sie angesteckt haben. Vielleicht müssen Sie geimpft werden. Vielleicht sind Sie auch schon krank!«
Wozu auch immer der Empfangschef die jungen Männer mitgebracht hatte, zum Übersetzen war es nicht. Sie reagierten auf meine Fragen ebensowenig wie er selbst. Und auch eine mögliche Infektion schien sie wenig zu beeindrucken.
Ich lehnte mich auf den Tresen.
»Ihr Gästebuch! Wo ist Ihr Gästebuch?«
Es gab
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