Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
AIPIer?«
»Herzlichen Glückwunsch, Marlies! Ein ausgesprochen engagierter Kollege mit vielen unkonventionellen Ideen.«
»Das habe ich mir gedacht. So eine Scheiße.«
Natürlich war ich froh, AIPler Harald losgeworden zu sein. Aber es tat mir leid, daß es ausgerechnet Marlies erwischt hatte.
»So schlecht ist er auch nicht. Er kann wenigstens schon Blut abnehmen, und du kannst ihn beliebig oft auf die Suche nach verschwundenen Röntgenbildern schicken. Er braucht einfach deine mütterliche Führung, glaube ich.«
»Schönen Dank.«
So wie sie das sagte, war zu befürchten, daß AIPler Harald keine tolle Zeit bei Marlies haben würde.
»Mal ehrlich, Marlies. Wie alt sehe ich eigentlich aus, mal ganz objektiv.«
Marlies gab sich den Anschein, mich objektiv zu betrachten.
»So Mitte Fünfzig vielleicht?«
»Könnte hinkommen, so fühle ich mich auch. Besonders, wenn wir hier die Knochenarbeit machen, während unsere jungen aufstrebenden Kollegen in die weite Welt fahren. Ich sage dir, in ein paar Jahren ist Schreiber irgendwo Chef, und wir müssen uns bei ihm um eine Stelle bewerben. Wann ist seine USA-Reise eigentlich genehmigt worden?«
Marlies hob die Schultern.
»Montag abend jedenfalls wußte er selbst noch nichts Konkretes. Als du ihn da wegen irgendeinem blöden Totenschein angemacht hast, hatte er sich gerade bei mir beschwert, daß er vollkommen in der Luft hänge.«
Wir kauten auf den leckeren Cafeteria-Brötchen herum. Es würde für immer das Geheimnis der Cafeteria sein, warum wir zu keiner Tageszeit frische Brötchen bekamen. Wahrscheinlich kaufte Bredow irgendwo Brötchen vom Vortag auf. Sparmaßnahmen.
»Glaube ich nicht«, sagte Marlies und spülte den Rest ihres Brötchens mit Kaffee herunter, »die backen selbst. Aber weißt du, was die da alles mit reinbacken? Mach dir einen schönen Tag, du siehst wirklich beschissen aus.«
Mir war der Appetit vergangen, und ich trottete auf meine Station.
Der einzige erfreuliche Aspekt des Tages war, wieder ohne Behinderungen und medizinische Ratschläge von AIPler Harald zu arbeiten. Das bedeutete zwar, daß ich selbst Blut abnehmen und nach verschwundenen Röntgenbildern suchen mußte, trotzdem war um drei Uhr nachmittags die Arbeit für den Tag getan. Offizieller Dienstschluß ist 16 Uhr 30, aber schließlich hatte ich Nachtdienst gehabt, und Bredows neue Überstundenregelung lud nicht gerade zu übertriebenem Aktionismus ein.
Den Weg von der Klinik zu meinem Single-Appartement in Zehlendorf findet mein Auto weitgehend selbst. Oft kann ich mich nach einem Nachtdienst und folgendem Arbeitstag nicht mehr erinnern, wie und auf welchem Weg ich eigentlich nach Hause gekommen bin. Es war erst vier Uhr nachmittags, und ich beschloß, daß mir ein kleines Schläfchen nichts schaden könnte. Würde ich erst morgen früh aufwachen, auch gut. Andernfalls könnte ich nachher bei Celine anrufen, ob wir irgendwo gemeinsam den Sommerabend genießen wollten.
Ich war ausreichend müde, bin aber nicht einer jener beneidenswerten Schlafexperten, die auch ein heiteres Wettschießen verschiedener Flakverbände nicht wecken kann. Langsam kamen meine Nachbarn nach Hause, schlugen Wagentüren zu, stellten Bierkisten ab, hielten ein kleines Schwätzchen. Ich habe Watte in den Ohren versucht, Watte und Wachs, eine Schlafmaske, alles zwecklos. Ich wurde nur immer wacher und immer saurer. Mischa ging mir wieder durch den Kopf, die verhinderte Sektion, der zweite Leichenschauschein, seine Akte, die ich immer noch nicht bekommen hatte. Gegen sechs sah ich ein, daß weitere Bemühungen um ein Schläfchen zwecklos waren, und stand auf.
Es wäre nicht fair gewesen, jetzt den Abend mit Celine zu verbringen. Ich würde zumindest muffig sein oder sogar Streit suchen. Mir fiel ein, daß Schreiber noch ein paar Medizinbücher von mir hatte, und vielleicht würde er außerhalb der Klinik und schon fast in den USA doch noch verraten, wie es zu dem zweiten Leichenschauschein gekommen war. Ein kleiner Fahrradausflug nach Lichterfelde würde mir sicher guttun. Ich würde etwas Sauerstoff bekommen und könnte vielleicht danach besser schlafen. Marlies hatte nicht gewußt, ob Schreiber vor seinem Abflug nach USA noch in die Klinik kommen würde. Ich könnte ihn ja mal selbst fragen.
Schreiber wohnte mit seiner Familie in einer dieser zu mehreren Appartements umgebauten Gründerzeitvillen in Lichterfelde. Nichts Extravagantes, aber ein erheblicher Aufstieg im Vergleich zu seiner
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