Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
Einzimmerwohnung in Neukölln, als Schreiber noch AIPIer bei uns war.
Ich hatte nicht vorher angerufen, aber es war auch erst acht Uhr abends.
Erst einmal geschah nach meinem Klingeln gar nichts. Ich klingelte noch einmal, etwas länger. Schreibers Frau Astrid öffnete die Tür, einen Spalt jedenfalls. Kaum mehr als für einen Zeitschriftenvertreter.
»Klaus ist nicht zu Hause.«
»Und da darfst du keine fremden Männer in die Wohnung lassen?«
Immerhin hatte ich mich dafür eingesetzt, daß ihr Mann die Vollassistentenstelle bei uns bekommen hatte.
»Komm rein. Entschuldige das Chaos. Ich bin schon am Sortieren, was mit nach USA kommt. Der Rest kommt zu meinen Eltern. Mäuschen, nicht in den Mund nehmen!«
Auf dem Boden krabbelte Schreiber junior durch verschiedene Haufen von Kleidern und Akten. Astrid war mit Mitte Zwanzig etwa so alt wie ihr Mann. Gemeinsam hatten sie Medizin studiert, ihre Doktorarbeit geschrieben und Staatsexamen gemacht. Im Moment war sie Hausfrau, sorgte für das Kind und erwartete ein zweites. Siebenter oder achter Monat, schien mir. War ihr klar, daß sie wahrscheinlich nie wieder als Ärztin arbeiten würde? Ihr Gesicht war durch die Schwangerschaft leicht aufgedunsen, dadurch vollkommen faltenlos. In einigen Jahren, nach einem Haufen von Kindergeburtstagen, für Schreiber warmgestellter Essen und alberner Diskussionen auf Elternsprechstunden würde sie anders aussehen.
»Nimm dir was zu trinken, falls du was findest. Hoffentlich hast du mehr Glück als ich – ich finde im Moment überhaupt nichts mehr.«
Der Kühlschrank war überfüllt mit Babynahrung und irgendwelchen Gemüsesäften. Schließlich fand ich eine Cola und setzte mich auf den Naturholztisch.
»Freust du dich auf Amerika?«
»Natürlich freuen wir uns. Es kam einfach nur ein bißchen plötzlich.«
Einen rundum glücklichen Eindruck machte sie nicht. Ich schaute mich um. Auch einrichtungsmäßig hatten die beiden sich stark verändert. Die aus Backsteinen und Preßspanplatten konstruierten Bücherregale hatten geölten Naturholzregalen weichen müssen, garantiert ohne Holzschutzmittel. Das Türblatt auf zwei Holmen war durch einen richtigen Schreibtisch ersetzt worden, ebenfalls geöltes Naturholz. Die Sessel aus Chromstahl und Leder in Corbusierform waren preisgünstige Imitate aus Italien.
»Es kam auch für uns in der Klinik sehr plötzlich. Wir haben erst heute morgen in der Bettenkonferenz davon gehört.«
»Ist das nicht immer so? Die ganzen Monate war vollkommen unsicher, ob es überhaupt klappen würde, und jetzt muß alles hoppla-hopp gehen. Klaus ist schon zu seinen Eltern nach München geflogen. Von da aus geht es nächste Woche direkt nach New York.«
»Klaus ist gar nicht mehr in Berlin?« Nun war ich wirklich überrascht. »Gestern war er doch noch in der Klinik!«
»Die Amis haben ein Telegramm geschickt. Klaus muß schon am 1. Juli anfangen.«
»Kann ich das mal sehen, das Telegramm?«
»Wieso?«
Mir fiel keine Antwort ein. Es war mir so rausgerutscht, und ich war selbst erstaunt. Astrid schaute mich irritiert an.
»Sie haben es ihm in die Klinik geschickt, ist wohl direkt an Dohmke gegangen. Und der hat dann endlich seinen Segen gegeben.«
Schreiber junior ließ Astrid ihre Irritation vergessen. Er war gerade dabei, die von Astrid sorgsam sortierten Häufchen auf dem Boden neu zu sortieren.
»Bist du nicht zu schwanger zum Fliegen?«
»Klaus sagt, gefährlich seien nur die ersten Monate, wegen der Höhenstrahlung, und natürlich direkt am Termin. Klaus wird nächste Woche sowieso alleine fliegen. Er soll sich dort erst einmal zurechtfinden, eine Wohnung suchen, und so weiter. Ich komme dann mit dem Jungen und dem Baby nach.«
»Klaus wird nicht hier sein zur Geburt?«
»Man kann nicht alles haben. Außerdem, wer sagt mir, daß ihr ihn nicht genau zur Geburt zum Dienst eingeteilt hättet?« Astrid hatte recht. Solche Sachen sind eine Spezialität unseres Hauses. Jedenfalls wußte sie nichts oder würde mir nichts sagen. Vielleicht gab es tatsächlich das Telegramm aus den USA, und die zeitliche Nähe zu seinem zweiten Leichenschauschein war nur zufällig. Langsam holte mich mein Schlafdefizit ein, und ich wollte nach Hause. Ich trank meine Cola aus und erhob mich.
»Es ist schade, daß du Klaus nicht mehr sprechen kannst. Du weißt sicher, daß du in der Klinik sein großes Vorbild bist. Kann ich etwas für dich tun?«
Es stimmte. Ich hatte ihr bist jetzt noch nicht gesagt, was ich
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