Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
tatsächlich ein Oktavheft, das der Empfangschef jetzt zuschlug. Er hatte mich sehr wohl verstanden. Aber er dachte nicht daran, mich in sein Gästebuch sehen zu lassen. Hinter der Rezeption standen zwei zerschlissene Koffer. Ich zeigte auf sie.
»Sind das die Koffer von Mischa? Dann will ich sie haben.«
»Njet, eto uje tje tschemodany, kotoryje wy ischtschetje.«
»Wenn Sie diese Koffer nicht herausgeben, machen Sie sich des Diebstahls schuldig.« Ich konnte noch eins draufsetzen: »Wir sind hier schließlich in Deutschland!«
Die beiden jungen Männer kamen hinter der Rezeption hervor und gaben mir stumm, aber unmißverständlich zu verstehen, daß ich jetzt besser gehen solle.
Sie hatten recht, es war Zeit zum Rückzug. Ich war schon seit Monaten nicht mehr in den Karatekurs gegangen, zu dem mich Celine einmal mitgeschleppt hatte. Vielleicht hätte ich Celine mitbringen sollen. Aber wenigstens einen halben Punkt wollte ich noch machen.
»Schön. Aber ich komme wieder. Und zwar nicht alleine.«
Die beiden jungen Männer geleiteten mich bis vor das Haus.
Außer weichen Knien hatte auch mein zweiter Besuch in der Pension Elvira nichts ergeben. Ganz nutzlos schien er mir trotzdem nicht gewesen zu sein. Ich war mir sicher, daß der Portier sein Ich-nur-russisch-ich-nix-Verstehen auf Anweisung gespielt hatte. Anweisung von wem? Jedenfalls hatte er einen Fehler gemacht. Er hätte einräumen sollen, daß Mischa hier gewohnt, aber keine Freunde gehabt habe, immer allein gewesen sei und daß ich die Koffer gerne mitnehmen könne. Dann hätte er mir irgendeinen Koffer mit ein paar schmuddeligen Unterhosen und zerrissenen Socken geben können und ich wäre damit nicht schlauer gewesen.
Ich lief vor zur Ecke Kurfürstendamm und setzte mich auf eine Bank. Die Dinge hatten sich geändert. Aus schlechtem Gewissen und medizinischem Interesse hatte ich meine Nachforschung zu Mischas letzten Tagen begonnen, aber nun wurde klar, daß jemand aktiv Hinweise und Unterlagen zu Mischa Tschenkow verschwinden ließ.
Ich hatte seine Leiche gesehen. Kein Messer im Rücken, kein Einschußloch im Kopf. Er war sehr wahrscheinlich an Leberversagen verstorben, natürlicher Tod – wenn man mal von der Möglichkeit absieht, daß ihn jemand mit einer schönen Portion Knollenblätterpilz umgebracht hatte. Einfach nur Leberversagen! Wer könnte ein Interesse haben, die Ursachen dafür zu vertuschen? Mir fiel ein, daß ich noch eine Möglichkeit hatte, das herauszubekommen.
Ich fand meinen Golf fast auf Anhieb und fuhr zurück in die Klinik. Meine Verabredung mit Celine war vergessen.
Schreiber hatte meinen Totenschein für Mischa durch einen neuen ersetzt und so die Sektion verhindert. Wie mir jetzt schien, eher auf Weisung, als daß er einen eigenen Kunstfehler unter den Teppich kehren wollte. War inzwischen auch Mischas Serum, das wir für unsere Studie eingefroren hatten, verschwunden?
Die Blutproben in der Tiefkühltruhe sind mit fortlaufenden Nummern gekennzeichnet. Das Oktavheft mit den entsprechenden Nummern lag selbstverständlich nicht an seinem Platz. Hatte man es nur wegen Mischa beiseite geschafft? Quatsch, es hätte genügt, Mischas Probe zu vernichten. Ich stellte das Forschungslabor auf den Kopf und fand das Heft schließlich unter einem Stapel von Fachzeitschriften, die sich einer unserer genialen Doktoranden zur Seite gelegt hatte. Er würde noch lernen, daß Forschung gelegentlich etwas mit Genialität zu tun hat, immer aber mit penibler Ordnung.
Mischas Proben hatten die Nummern 958 bis 962, sie waren weder im Kontrollheft gestrichen noch aus der Tiefkühltruhe entfernt worden. Hatte man sie eventuell durch andere Proben ersetzt? Wenn, dann hatte ich keine Möglichkeit, das festzustellen. Ich packte die Proben in eine Kühltasche und rief noch vom Forschungslabor aus meinen Freund Michael Thiel an. Er sagte, ich könne sofort kommen.
Michael hat lange als Oberarzt bei uns im Labor gearbeitet. Bei einigen gemeinsamen Forschungsprojekten hatten wir der Klinik einen Haufen Fremdmittel von der Industrie eingespielt, für uns waren ein paar Veröffentlichungen, schöne Kongreßreisen und ab und zu eine hübsche Doktorandin herausgesprungen. Michael war nie gut mit seinem Chef, Professor Dohmke, zurechtgekommen und deshalb vor ein paar Jahren in die Pharmaindustrie abgewandert. Inzwischen betrieb er sein eigenes Labor und lebte nicht schlecht davon.
Es überraschte mich nicht, Michael um diese Zeit noch in seinem Labor
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