Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
Karussell immer wieder neu an. Wie war er ausgerechnet auf Tuberkulose als mir vielleicht drohende Erkrankung gekommen? Kannte er den Röntgenbefund »aktive Tuberkulose nicht auszuschließen« aus Mischas Akte vom letzten Oktober? Ich hatte weder im Gespräch mit Bredow noch mit Dohmke etwas davon erwähnt. Wollte mir Dohmke eine versteckte Warnung zukommen lassen? Wollte er mir sagen, daß er die Akte Mischa genau kenne? Wußte er von meinem Besuch bei der Dicken von CareClean, der ich mit Mischas Tbc gedroht hatte? Hatte ihm ein Freudscher Versprecher die Tuberkulose in den Mund gelegt, als wir von Mischas Akte gesprochen hatten, von der er angeblich gar nichts wußte? Oder war Tbc einfach Dohmkes Synonym für schlechtes Aussehen?
Gegen Morgen muß ich dann doch eingeschlafen sein, und mein Traumzentrum bereitete mir mit freundlicher Unterstützung meiner Eumeniden ein Feuerwerk von Alpträumen. Alle waren dabei: Bredow, tot und lebendig, seine Geliebte Margret, mit ihm und mit mir. Dohmke, Celine, Mischa, Schreiber, die Dicke von CareClean, die Russen von der Pension Elvira. Die Polizei trat auf ebenso wie der Staatsanwalt, es ging um Kunstfehler und Computerkriminalität, um Mord und Totschlag.
Entsprechend erfrischt und bereit für den neuen Tag sortierte ich mich schließlich aus meiner Siebzig-Zentimeter-Liege. Von der Figur, die mir beim Rasieren aus dem Spiegel entgegenstarrte, hätte ich keinen Gebrauchtwagen gekauft, geschweige denn, mich ärztlich behandeln lassen.
Auf dem Weg zur Morgenkonferenz erinnerte ich mich an den Briefumschlag, den Karl mir gestern abend gegeben hatte. Ich war früh dran und fand mich alleine im Konferenzraum. Ich öffnete den Briefumschlag. Es war der zweite Durchschlag eines Leichenschauscheins, ausgestellt am 12. Juni auf Mischa Tschenkow aus Kiew, geboren am 20. April 1971. Todesursache ungeklärt, Sektion vorgesehen. Unterschrieben von Dr. F. Hoffmann.
Endlich hatte ich einen Beweis in der Hand, daß es für Mischa zwei Leichenschauscheine gab. Was konnte ich nun damit beweisen? Und wen würde das interessieren? Zumal ich immer noch nicht wußte, warum es zwei Leichenschauscheine gab. Eigentlich wußte ich gar nichts, noch nicht einmal, aus wie vielen Teilen das Puzzle bestand, von dem ich gerade einen Teil in den Händen hielt.
13
Wie ich den nächsten Tag in der Klinik überstanden habe, hat mein Gedächtnis nur bruchstückhaft überliefert, aber als Krankenhausarzt bekommt man mit der Zeit Routine. Den Patienten mag nicht immer bewußt sein, daß ein Arzt, der Nachtdienst hat, sowohl am Tag davor als auch am Tag danach arbeitet. Mein Hauptbestreben dürfte gewesen sein, niemanden durch meine begrenzte Einsatzfähigkeit umzubringen, und mehr noch, mich so früh wie möglich nach Hause zu verkrümeln. Marlies hatte in der Cafeteria nicht den aktuell üblichen Kommentar zu meinem Aussehen abgelassen, sondern angeboten, sich am Nachmittag um meine Station zu kümmern. So konnte ich gegen drei Uhr meine Patienten von ihrem gefährlichen Stationsarzt erlösen.
Auf dem Weg zum Klinikparkplatz wurde mir klar, daß ich wieder einmal vergessen hatte, wo ich gestern morgen meinen Golf geparkt hatte. Und als ich ihn gefunden hatte, hatte ich die Schlüssel auf der Station vergessen. Kein Pilot dürfte mehr fliegen, jeder Bus- oder Lastwagenfahrer bekäme seinen Führerschein abgenommen nach über vierundzwanzig Stunden Arbeit. Subjektiv ist man nach einem Nachtdienst häufig euphorisch und fühlt sich gar nicht müde. Man fällt schnelle Entscheidungen, allerdings manchmal falsche. Oder man ist einfach nur kaputt – wie ich heute.
Es war noch zu früh für den täglichen Nachmittagsstau auf der Stadtautobahn, und ich fand sogar einen Parkplatz in meiner Straße. Mein Glück hielt an: Keines der reizenden Kinder in der Umgebung schien heute Geburtstag zu haben, kein Mutterkollektiv organisierte fröhlich laute Spiele, was vorzugsweise direkt unter meinem Schlafzimmerfenster üblich ist. Ich hatte die beste Aussicht auf ein schönes Bad mit einem Glas Wein in meinem Zahnputzbecher, und dann nichts wie ab in die Haia.
Ich stand vor meiner Wohnungstür. Zugegeben, ich bin nicht der Ordentlichste, aber so hatte ich meine Wohnung, gerade erst von Celine auf Hochglanz gebracht, nicht hinterlassen: Die Tür war aufgebrochen, die Bilder von der Wand gerissen, die Schränke waren ausgeräumt und meine Klamotten wild über den Teppich verteilt. Immerhin hatten sie den Kühlschrank in
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