Die Saat der Bestie (German Edition)
in der Auffahrt der Thomsons. Dan Thomson ist ein guter Freund gewesen. Ein ehrlicher, ruhiger Kerl, der keiner Fliege etwas zu Leide tat. Seine Frau Meg war eine richtige Augenweide. Lange, braun gebrannte Beine, die sie im Sommer gerne in knappen Shorts zur Schau stellte, und die Kurven an den richtigen Stellen ihres schlanken Körpers. Das hätte David damals natürlich niemals laut geäußert, weder Dan noch Darleen gegenüber. Heute ist es egal, denn es ist niemand mehr da, den er mit seinen geheimen Gedanken verletzen kann.
Meg ist – natürlich neben Darleen – der einzige Mensch, den David wirklich vermisst. Ihr kleiner Junge, Dennis, war ein Taugenichts und hätte es im Leben wahrscheinlich nie zu etwas gebracht. Für ihn war der Untergang ein Segen. Aber Dan und Meg waren in Ordnung. Sie hatten zu viert so manche Abende auf der Veranda ihres Hauses verbracht und ein Bierchen getrunken. Während die Frauen zu jedem, der am Haus vorbeikam, eine Geschichte zu erzählen wussten, prosteten sich Dan und David grinsend zu und fragten sich im Stillen, was sie davon glauben konnten und was nicht. Sie taten eben das, was man in einer langweiligen Stadt an einem langweiligen Abend so machte, und es hat verdammt nochmal Spaß gemacht.
David denkt oft an diese Abende zurück und kann sogar das Bier auf seiner Zunge schmecken. Alles ist besser als das hier.
Gott, Dan, ich vermisse euch …
An Dans Lincoln kann David erkennen, wie die Zeit vergeht. Das Glänzen des schwarzen Lacks ist lange schon Vergangenheit. Heute scheint der Wagen eher grau zu sein. Äste und verfaulte Blätter liegen auf dem Dach und der langen Motorhaube, einer der Reifen ist platt. Über die Scheiben hat sich im Laufe der Zeit eine grüne Schicht gelegt.
Darleen hat sich oft darüber lustig gemacht, wenn Dan an Samstagen seinen Lincoln gewaschen und gewachst hat. Heute würde David seinen rechten Arm dafür geben, Dan noch einmal in seiner Auffahrt stehen zu sehen.
Als erste Regentropfen fallen und dunkle Flecken auf dem Bürgersteig hinterlassen, geht David ins Haus, verriegelt die Tür und schließt die Fensterläden. Ein weiterer leerer Tag, in einer leeren Stadt, in einem leeren Leben geht zu Ende. Als er die ersten Öllampen anzündet, beginnt das Unwetter.
***
Ein Donnern reißt sie aus den schwarzen Tiefen eines Alptraums. Mit einem heiseren Schrei schreckt sie auf, tastet die feuchte Wand hinter sich ab und schiebt sich an ihr nach oben, bis sie steht. Ihr Herz hämmert, als versuche es, ihren Körper zu zerschmettern. Das Licht im Zimmer hat einen grauen Schimmer angenommen. Etwas klopft mit einem ungleichmäßigen, langsamen Rhythmus gegen die Fensterscheibe. Im nächsten Moment wird das Zimmer von einem grellen Blitz aus den Schatten gerissen, die Nacht scheint für den Bruchteil einer Sekunde näher heranzurücken. Dann rollt das schläfrige Grollen von Donner durch die Stadt.
Sie geht auf zitternden Beinen, die nicht zu ihrem Körper zu gehören scheinen, zum Fenster und legt beide Handflächen gegen das kalte Glas. Die Nacht ist farblos und nass, der Himmel eine einzige schwarze Masse, die die Spitzen der Dächer zu berühren scheint.
Mit einem Kopfschütteln lehnt sie ihre Stirn gegen die Scheibe und genießt für Augenblicke die Kühle, die ihr das Glas schenkt. Dann jedoch kehrt die schreckliche Erkenntnis zurück und zerreißt ihre Gedanken wie ein glühender Dolch.
Ich habe den Tag verschlafen. Du Närrin hast den ganzen, verdammten Tag verschlafen, anstatt die Stadt hinter dir zu lassen.
Sie schlägt mit der flachen Hand gegen das Fenster, tritt zurück und dreht sich einmal um sich selbst. Das Zimmer ist wieder in seinen grauen Schatten versunken. Auf der Wolldecke, auf der sie geschlafen hat, liegen ihre Sachen: der alte Rucksack und die Plastiktasche aus dem Bekleidungsgeschäft. Ihre alten Kleider hat sie weggeworfen, ins Treppenhaus vor der Wohnung. Stattdessen sind in ihrer Tüte neue Unterwäsche, zwei paar Hosen und zwei Hemden eingepackt. Mehr würde sie nicht brauchen, bis sie die nächste Stadt erreichen und sich neue Sachen besorgen konnte. Das ist der Vorteil an dieser neuen Welt; das ganze Land ist ein gigantisches Vorratslager.
In ihrem Rucksack befinden sich lebenswichtige Dinge wie Dosenrationen, Wasser in Flaschen, zwei vertrocknete Äpfel sowie Salben und Verbandszeug.
Ich muss hier weg , denkt sie und ist sich sicher, die eigene Stimme in ihrem Kopf schreien zu hören.
Ein Blick zum Fenster
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