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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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kam eines Tages am frühen Nachmittag in die Stadt und war von hohem Fieber befallen.« David wird bewusst, wie schwer es ihm fällt, über den Jungen zu reden. »Er zitterte am ganzen Leib, seine Haut war fleckig und in seinen Augen glühte das Fieber wie Feuer. Ich wusste, dass ich nichts für ihn tun konnte. Doch ich nahm ihn mit in mein Haus und pflegte ihn, um ihm das Sterben so angenehm wie möglich zu machen. Dabei redete ich mir selbst ein, dass ich ihn zu heilen versuchte. Ich fühlte mich damals so hilflos.«
    Sam blickt plötzlich auf und sieht ihn fragend an.
    »Ich sagte ihm, alles wird gut, dass ich mich um ihn kümmern und er bei mir bleiben könne. Ich gab ihm zu essen, wusch ihn und erzählte ihm uralte Geschichten aus meiner Vergangenheit. Dabei wurde nichts gut. Ich bin kein Arzt und konnte nur das Nötigste für ihn tun. Aber ich habe ihm unentwegt erzählt, dass er sich keine Sorgen machen muss.«
    Sam streicht die losen Strähnen hinter ihr Ohr und blinzelt in die Sonne. »Aber du hast ihm doch geholfen«, sagt sie leise, eindringlich. »Du hast ihm die Angst vor dem Tod genommen. Mehr konntest du nicht tun. Du hast ihm mehr gegeben, als es die verkommene Welt je getan hat. Es ist nicht schön, mit der Furcht vor dem Tod zu sterben.«
    David schüttelt den Kopf. »Ich glaube, ich habe damals nur an mich gedacht. Kenny war das erste menschliche Wesen, das ich zu Gesicht bekam. Er erschien mir wie die Antwort auf meine Gebete, die ich nachts in die Dunkelheit sprach. Kenny war jemand, mit dem ich sprechen konnte, der mir zuhörte und um den ich mich kümmern konnte.« Er sieht sie an und kniet sich zu ihr nieder. »Verstehst du? Kenny war für mich da, um meine Leiden zu lindern. Er war wie ein Werkzeug, das ich benutzte. Er beschäftigte mich, lenkte mich von der verdammten Stadt ab und brachte in mir die Hoffnung zurück, dass es noch mehr Menschen wie ihn geben musste; irgendwo – aber es musste sie geben. Als er schließlich starb …« David setzt sich im Schneidersitz auf die Holzplanken und blickt zu den Ruinen auf der anderen Flussseite. »Als er starb, weinte ich nur um mich selbst. Nicht um Kenny. Ich war sogar wütend auf ihn, weil er mich einfach so alleine zurückließ. Ich schrie ihn an, dass er das nicht tun könne und sich nicht einfach so aus dem Staub machen solle. Ich glaube, in dem Moment, als er starb, habe ich den Jungen sogar dafür gehasst.«
    »Was hast du mit ihm gemacht?«
    »Was spielt das für eine Rolle?«
    Sam sieht ihn unentwegt an. Ihre Stimme ist ruhig, kaum mehr als ein Flüstern. Doch die Stadt ist still, und David versteht jedes Wort klar und deutlich.
    »Das spielt eine große Rolle, denn es kann dir zeigen, dass du nicht eigennützig gehandelt hast.«
    David starrt auf das feuchte Holz unter sich und verschränkt die Hände ineinander.
    »Ich habe Kenny beerdigt. Im Park, neben dem Haus.«
    »Du hast ihn also so behandelt, wie du früher einen geliebten Menschen behandelt hättest.«
    David überlegt. Irgendwo in den Ruinen der Stadt fällt etwas krachend zu Boden. Das Echo rollt einige Sekunden wie das Donnern von Hufen durch die Stille.
    »Ich bin jeden Tag zu seinem Grab gegangen und habe mit ihm geredet, als würde er noch leben. So, wie ich mit der Puppe im Schaufenster rede.«
    Er blickt Sam in die Augen und zuckt verlegen mit den Schultern. Sie lächelt leicht, doch verurteilt ihn nicht.
    »Als ich keine Antworten von ihm bekam, ging ich nicht mehr zu ihm. Ich habe ihn bis heute kein einziges Mal mehr besucht.«
    Sam sieht ihn eine Weile an, ohne etwas zu erwidern. Dann zieht sie ihre Knie an den Leib und starrt in den Himmel. Einige Wolkenschleier ziehen über den Fluss, als würden sie ihm auf seiner Flucht aus der Stadt folgen.
    »Was ist mit dir?«, fragt David und kann die Erinnerung an Ken nur mit Mühe zurückdrängen.
    Sam scheint in Gedanken, beachtet ihn nicht. Sie schließt die Augen und lässt ihr Gesicht von der Sonne wärmen.
    »Ich bin nur zwei Menschen begegnet«, haucht sie schließlich so leise, dass es auch der Fluss hätte sein können. »Und einen davon habe ich getötet.«

    ***

    »Als es Frühling wurde, habe ich meine Stadt verlassen.« Sie lehnt wieder gegen den alten Holzpfeiler, hat ein Bein angezogen und starrt in den Himmel über den Häusern jenseits des Flusses. »Ich glaube, als es wärmer wurde, habe ich die Hoffnung verloren, dass irgendjemand zurückkommen würde. Ich habe Tage damit verbracht, auf den Stufen meiner

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