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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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Veranda zu sitzen, die Straße zu beobachten und darauf zu warten, dass der Wagen meines Nachbarn um die Ecke kommt oder einige Kinder auf ihren Fahrrädern lachend am Haus vorbeifahren. Ich habe sogar auf den Postboten gewartet, einen ziemlich ekelhaften Kerl, der sich für unwiderstehlich hielt und mich jedes Mal mit seinen Augen förmlich auszog. Den Gedanken, dass keiner von den Menschen mehr da war, die ich mein Leben lang kannte, wollte ich nicht zulassen. Ich weigerte mich einfach, die Wirklichkeit zu akzeptieren, trank Bier, das ich mir von der Tankstelle besorgt hatte und versank in meiner eigenen Welt. Ich bekam Phantasien, die nicht gut für jemanden sind, der alleine ist. Von Verschwörungstheorien bis hin zu Angriffen außerirdischer Kreaturen ist alles dabei gewesen.«
    Sie lacht, schüttelt den Kopf und wirft David einen entschuldigenden Blick zu. »Ich dachte jeden Tag daran, dass Mike mich unmöglich alleine zurücklassen konnte.«
    »Mike?«
    »Er war mein Freund. Wir lebten zusammen und wollten uns im Frühjahr verloben. Aber ich glaube fast, daraus wird nichts mehr.« Mit einem Seufzer lehnt sie ihren Kopf gegen den Pfosten und schließt die Augen. »Mike war morgens zur Arbeit gegangen. Er war Techniker bei einer Telefongesellschaft. Ein Job, den er hasste, der uns aber gutes Geld einbrachte. Naja, auf jeden Fall kam er nicht mehr nach Hause und seitdem wartete ich auf ihn; so wie auf all die anderen aus meiner Stadt. Und als es dann wärmer wurde und es kein Bier mehr an der Tankstelle gab, packte ich meine Sachen und ließ Waterbury hinter mir.« Sam öffnet kurz die Augen und schielt zu David. »Das mit dem Bier war natürlich ein Scherz«, lacht sie. Dann lehnt sie sich wieder zurück und blickt in ihre Erinnerungen. »Ich glaube, als ich die Stadt verließ, hatte ich immer noch die Hoffnung, dass sich die ganze Scheiße nur auf Waterbury beschränkte. Irgendwie bildete ich mir ein, dass ich, sobald ich die nächste Stadt erreichte, inmitten von Verkehrslärm, lauten Menschen und stinkenden Straßen stehen würde. Dort bräuchte ich nur irgendjemandem von der ganzen Scheiße zu erzählen und alles würde wieder gut werden. Ich rannte sogar, so wie man in einem Traum auf eine Tür am Ende eines langen Ganges zuläuft, nur um zu erkennen, dass sich die Entfernung niemals verkürzt, ganz gleich, wie schnell man laufen kann. So etwa erging es mir. Ich lief über Straßen und Felder, immer in der Nähe des Ozeans, nur um dann festzustellen, dass sich alle anderen Städte in keiner Weise von Waterbury unterschieden.« Sam zieht die Beine an, umschlingt sie mit den Armen und blickt zu David. »Weißt du, was für ein Gefühl es ist, wenn man plötzlich die ganze Wahrheit erkennt? Die ganze schreckliche, grausame und schmerzvolle Wahrheit? Wenn sie einen anspringt wie ein wildes Tier? Ich sage dir, David, das ist ein verdammtes Scheißgefühl.«
    »Ich kenne das Gefühl«, sagt er und kommt sich im selben Moment ziemlich albern vor. Es sollte andere Worte geben, die ihre Situation und Gefühle beschreiben und sie vielleicht trösten können. Doch Davids Gedanken sind leer, ihm wollen die richtigen Worte nicht einfallen. Er möchte einfach nur hier im Sonnenschein sitzen, den Gestank des Flusses einatmen und Sams Geschichte lauschen. Ihre Stimme bedeutet Leben und Nähe für ihn, ganz gleich, was sie erzählt.
    »Eines Tages sah ich die Silhouette von New York am Horizont. Ich kann dir nicht mehr sagen, wie lange ich da schon unterwegs war. Tage waren nicht mehr wichtig für mich.« Sam wippt sanft vor und zurück, während sie ins Wasser starrt. »Alles wirkte düster und bedrohlich. Ein dunkler Schatten, der sich über den Rand der Welt erstreckte. Kein Licht, kein Lärm, nichts. Ich erinnerte mich in dem Moment an mein Konzerterlebnis mit Neil Young und meiner Tante. Auf keinen Fall wollte ich in diese Stadt gehen und erfahren, dass Young tot ist. Dass meine Tante ebenso tot ist wie all diese maskierten Menschen, die ich damals in New York getroffen und die mir solche Angst eingejagt hatten. Ich wollte mir zumindest meine Erinnerungen bewahren, also habe ich einen großen Bogen um New York gemacht, auch wenn mich das einige Tage kostete.«
    Sam hält in ihrer Bewegung inne. Der Ausdruck ihres Gesichts verhärtet sich, sie scheint David vollkommen vergessen zu haben. Ihre Augen gleichen schmalen Schlitzen, mit denen sie das Ufer auf der anderen Seite taxiert. Sie greift in den Schaft ihres Stiefels

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