Die Saat der Bestie (German Edition)
und zieht mit einer beiläufigen Bewegung ein Springmesser daraus hervor. Mit einem metallischen Singen lässt sie die Klinge herausgleiten und betrachtet nachdenklich den Stahl. Die Sonne lässt ein hässliches Grinsen darauf zurück.
»Mein Abstand zu New York blieb immer gleich. Die Stadt wanderte wie die Sonne um mich herum. Als sie sich im Norden befand, erreichte ich ein kleines Dorf, dessen Namen ich vergessen habe. Ein paar windschiefe Häuser, ein Marktplatz und eine Kirche. Dazu eine Straße mit Schlaglöchern, die mitten hindurch führte. Ein typisches Dorf eben, wie es sie zu tausenden gibt. Dort traf ich auf Maria.« Sie starrt ins Funkeln der Klinge, als blicke sie dadurch in eine andere Welt, in eine andere Zeit. Ihr Gesicht hat sich in eine dunkle Maske aus Holz verwandelt. »Maria und ihren Mann Bud.«
Sie schweigt, während die Schatten der Wolken über den Fluss kriechen und den Anblick schwimmender Leichen darzustellen versuchen. Einer der Schatten fällt über den Steg und verwandelt Sams Gesicht in das zerfurchte Antlitz einer alten Frau. Das Lächeln auf der Klinge verschwindet. Sie nimmt das Messer und wirft es in die Planken zwischen ihren Füßen, wo es vibrierend und mit einem dumpfen Schlag stecken bleibt.
»Maria war eine zierliche Person«, fährt sie schließlich mit leiser Stimme fort. Ihre Lippen scheinen sich kaum zu bewegen. »Ein gütiger, warmherziger Mensch mit sanften Augen und einem ausgesprochen angenehmen Wesen. Ich glaube, in einem anderen Leben wäre ich für eine Freundin wie sie dankbar gewesen. Sie war ungefähr in meinem Alter und ich mochte sie vom ersten Augenblick an. Ihr Mann Bud war groß gewachsen, mit dunklem, lockigem Haar und einem fein geschnittenen Gesicht mit hohen, aristokratischen Wangenknochen. Er erinnerte mich komischerweise an Könige, die ich aus den alten Märchenbüchern meiner Kindheit her kannte. Er hatte etwas Würdevolles an sich. Jemand, nach dem sich die Frauen auf der Straße zweimal umblicken. Auf den ersten Blick waren Maria und Bud ein schönes und perfektes Paar; so eines, das man gerne als Nachbarn hat oder zu seiner Party einlädt.« Sam blickt voller Schwermut in die Ferne. »Aber da war etwas in Buds Augen. Etwas Dunkles, Gefährliches, das mir Angst machte. Er sprach zwar anständig und ruhig mit mir, aber die Art, wie er mich betrachtete, wie er mich von oben bis unten musterte, gefiel mir nicht. Maria schien seine Blicke nicht zu bemerken, oder sie wollte es nicht. Aber Buds Absichten lagen offen in seinen Augen zu lesen. Zudem berührte er mich mehr als einmal, als er an mir vorbeiging, gerade so, als sei es nur Zufall.« Die Wolke verschwindet und das helle Blitzen auf der Klinge des Messers kehrt zurück. »Ich half den beiden, einen Karren mit Lebensmitteln, die sie in den Häusern des Dorfes geplündert hatten, in ihrer Wohnung zu verstauen. Erst danach, als die Arbeit getan war, wurde uns allen richtig bewusst, dass da plötzlich andere Überlebende waren. Dass man tatsächlich in die Augen eines anderen Menschen blickte, den Geruch dieses Menschen einatmete, auch wenn dieser Geruch nicht der Beste war. Kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe? Inmitten einer toten Welt auf andere Menschen zu treffen? Für mich grenzte es an ein Wunder und in Marias Augen konnte ich eine stille, aber ehrlich gemeinte Dankbarkeit erkennen. Bud musterte mich weiterhin bei jeder sich bietenden Gelegenheit und jeder meiner Bewegungen und schien für seine Frau keinen einzigen Blick mehr übrig zu haben. Setzte ich mich, beobachtete er mich dabei, als hätte er so etwas noch nie gesehen, ging ich im Zimmer auf und ab oder spähte aus dem Fenster, hing er mit seinen Augen an mir, als wäre ich ein festlich geschmückter Weihnachtsbaum und er ein kleiner Junge am Weihnachtsmorgen.« Das Sonnenlicht auf der Klinge des Messers wirft einen kleinen, hellen Kreis auf den Steg. »Wir haben zu Abend gegessen. Ein richtig köstliches Mahl. Bud meinte, für ihren Gast sei das Beste gerade gut genug. Mir gefiel nicht, wie er die Worte betonte und mir dabei zuzwinkerte. Und mir gefiel nicht, wie viel Wein er trank. Während Maria und ich uns mit einem Glas begnügten, ließ sich Bud von seiner Frau immer wieder nachschenken. Er schickte sie sogar in den Keller, um eine neue Flasche zu holen.« Sam schüttelt den Kopf und lässt den Lichtkreis aus Sonne verschwinden. »Er hat Maria wie eine Bedienstete behandelt, nicht wie seine Frau. Sie sollte
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