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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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hölzernen Pfeiler gelehnt. Früher einmal, zu Zeiten, als Davids Großvater selbst ein kleiner Junge gewesen ist, hatte man an diese Pfosten Boote und Lastkähne angebunden. Heute stehen sie einfach nur noch als Erinnerung an diese längst vergessenen Tage auf dem Steg. Das Holz ist durch die Feuchtigkeit dunkel und glatt geworden. Fährt man mit der Hand langsam darüber, spürt man eine klebrige Nässe, welche die Pfeiler wie ein feines Tuch umhüllt.
    Sam sieht David mit einem unergründlichen Blick an. Er glaubt, eine tiefe Wachsamkeit in ihren Augen zu erkennen. Dann wiederum hat er das Gefühl, dass Sam mit dem Gedanken spielt, ihm etwas zu erzählen. Sie öffnet manchmal ihren Mund, nur ganz leicht, doch dann schließt sie ihn wieder, beißt sich auf die Lippen und lässt ihren Blick von ihm zum Wasser wandern.
    David sieht sie nicht direkt an. Er blickt immer wieder in ihre Richtung, seine Augen streifen sie kurz, dann betrachtet er scheinbar die Silhouetten der Häuser hinter ihr.
    Sam hat ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Einige Strähnen haben sich gelöst und tanzen im feuchten Flusswind. David wird erneut an Darleen erinnert, Sam und sie haben viel gemeinsam. Er blickt in die andere Richtung, da er nicht an Darleen denken will; nicht hier und nicht in Gegenwart einer anderen Frau.
    Auf der anderen Flussseite bemerkt er plötzlich eine Bewegung. Seine Hand greift nach dem Gewehr, das neben ihm auf den Holzplanken liegt, doch dann hält er inne.
    »Sieh nur«, flüstert er und deutet mit ausgestrecktem Arm auf eine in Schatten gehüllte Treppe, die zwischen zwei Häusern hinunter zum Wasser führt.
    Ein Reh steht nahe am Ufer und starrt konzentriert ins Wasser. David vermutet, dass es auf der Suche nach Nahrung ist. Er kann selbst auf die Entfernung sehen, wie sich dessen Nüstern blähen und die Ohren aufstellen.
    »Kommen sie oft in die Stadt?«
    David wirft Sam einen kurzen Blick zu und nickt.
    »Die Stadt birgt keine Gefahr mehr für sie. Deshalb kommen sie aus dem umliegenden Land und den Wäldern und suchen nach Nahrung.«
    Sie beobachten das Tier, das plötzlich zu ihnen herüberblickt. Es wirkt gleichmütig, schüttelt nach einer Weile den Kopf und blickt wieder ins Wasser. Dann senkt es den Kopf, schnuppert am Boden und springt im nächsten Augenblick mit weiten Sätzen die Treppe hinauf und verschwindet zwischen den Häusern. David hat das merkwürdige Gefühl, dass irgendetwas das Reh aufgeschreckt hat, irgendein Geräusch oder ein Geruch, der nicht sein sollte. Als er zu Sam blickt, sieht er sie zum ersten Mal an diesem Tag lächeln.
    »Es ist merkwürdig, anderes Leben zu sehen. Und doch wunderschön.«
    »Hast du auf deiner Reise keine Tiere gesehen?«
    Sam sieht ihn an. Ein Schatten zieht wie eine Wolke über ihr Gesicht.
    »Nur wenige. Ich glaube, sie haben Angst vor der Welt.« Davids Augen wandern zur Treppe auf der anderen Flussseite zurück, doch das Reh ist in den Schluchten der Stadt verschwunden.
    »Man sollte meinen, dass die Natur sich die Städte und alles, was die Menschen errichtet haben, zurücknimmt. Zumindest hat man das früher im Fernsehen erzählt.« Er macht eine Pause. Der Gestank von Abfall, den der Fluss mit sich trägt, wird stärker. »Aber das stimmt nicht. Es kommen nur sehr wenige Tiere in die Stadt. Rehe …« Er nickt in Richtung der Treppe. »Antilopen und manchmal Wölfe. Aber sie sind vorsichtig, durchstreifen die Stadt und verschwinden wieder, sobald sie etwas zu Fressen gefunden haben.«
    Sam steht auf, geht bis zum Rand des Holzsteges, stemmt die Fäuste in die Hüften und sieht zur anderen Seite hinüber.
    »Ich glaube, solange es auch nur noch einen Menschen auf der Erde gibt, ist der Ort nicht sicher für sie.«
    Sie lässt die Arme kraftlos an den Seiten herabhängen, dreht sich zu David um und blickt ihn mit dunklen Augen an. Plötzlich steht eine stille Furcht in ihrem Gesicht, als hätte sie sich eine blasse, verzerrte Maske aufgesetzt.
    »Wir beide sind nicht die letzten«, sagt sie leise, geht zu dem Pfosten zurück und rutscht langsam daran herunter. Ihre Augen blicken traurig auf den Fluss.

    ***

    »Es gab mal einen Jungen, der in die Stadt kam«, ergreift David nach einer Weile das Wort, weil er glaubt, dass es an der Zeit ist, ihr von Kenny zu erzählen.
    Sam blickt nicht auf, starrt weiterhin auf den Fluss, der die winzigen Kadaver von Vögeln und Ratten mit sich trägt. Doch sie hört ihm zu, das spürt David.
    »Er hieß Kenny. Er

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