Die Saat der Bestie (German Edition)
einer Waffe. Gleichzeitig drängt sich der Gedanke auf, wie infantil sie reagiert. Die Tür ist abgeschlossen und der Fensterladen ist mit einem Haken aus Eisen gesichert. Wie sollte sich dieses Wesen Zugang zu ihrem Zimmer verschafft haben?
Spontan springt sie auf, lässt sich auf die Knie fallen und blickt unter das Bett. Ihr Herz scheint einen Schlag auszusetzen. Unbewusst bemerkt sie, dass sie den Atem anhält. Doch unter dem Bett befinden sich lediglich eine dünne Staubschicht und zwei gebrauchte Taschentücher, die irgendjemand hier vor Jahren entsorgt haben musste.
Sie steht wieder auf und fühlt sich wie ein kleines Mädchen, das Angst vor Monstern hat. Mit einem Kopfschütteln schlüpft sie unter die Bettdecke, diesmal, ohne sich auszuziehen. Ein letzter prüfender Blick zum Fenster, dann zur Tür.
Alles bleibt still, doch das Gefühl, von unsichtbaren Blicken erfasst zu werden, bleibt.
Erst als sie die Kerze löscht und sich in der Nacht verstecken kann, spürt sie, wie die Beklemmung von ihr abfällt.
Mit einem Schlag ist sie alleine im Dunkeln.
Sam liegt mit offenen Augen da, starrt ins Nichts und versucht, sich an Bilder aus ihrer Vergangenheit zu erinnern. Obwohl sie erschöpft und müde ist, schläft sie in dieser Nacht nicht mehr ein.
***
In meinem Kopf hebt sich der Vorhang. David starrt mir entgegen. Seine Augen unsicher, voller Furcht. Unwürdig, wie immer. Meine Hände legen sich um seinen Hals, drücken zu, beginnen, David zu würgen. Doch ich greife nur Luft. Meine Finger gleiten durch ihn hindurch wie durch ein Gespenst.
Das ist es, was du bist, David! Ein erbärmliches, trauriges Gespenst. Das letzte auf Erden. Das Leben ist zu groß für dich. Es wird dich vernichten, so, wie es all die anderen Gespenster vernichtet hat. So, wie ich dich vernichten werde. Eines Tages, am Ende von allem, wird sich der Vorhang heben, und ich werde in die Augen eines Toten blicken.
Dann, wenn die letzten Gespenster gegangen sind, wird es nur noch Frank geben. Frank und das, was ihn geboren hat …
***
Am Morgen sitzen sie auf dem Steg am Fluss. David starrt ins Wasser, auf die sanften Wellen, die sich manchmal schäumende Krönchen aufsetzen, um sie einige Augenblicke später wieder zu verlieren.
Die Luft ist schwer und riecht nach Moder, den der Fluss mit sich treibt.
In den ersten Tagen, in denen David noch nicht verstand, was geschehen war, waren Leichen den Fluss hinuntergeschwommen. Bleiche, aufgedunsene Leiber, nackt oder mit zerrissenen Anzügen oder fleckigen Overalls bekleidet, das Gesicht dem Grund des Flusses zugewandt, die entblößten Rücken mit Wunden von Steinen und Zweigen verziert.
Sie hatten David an abstrakte Puppen erinnert, die ein Künstler in einem Anfall von Wahn dem Wasser übergeben hat. Manche von ihnen trieben anmutig und sanft mit den gekrönten Wellen, andere drehten sich in verzweifelten Wirbeln, stießen gegen die Kaimauern oder schwere Äste. Doch eines haftete allen gleich an; der saure Gestank verwesenden Fleisches, der Schwärme buntschillernder Fliegen mit sich zog.
Der Fluss stank wie die Grube im Garten von Davids Urgroßvater, in die der Mann allen möglichen Abfall warf und die mit der Toilette im Haus verbunden war.
Auf absurde Weise lockte der Gestank der Leichen die Erinnerungen an den Großvater in ihm hervor. Der alte Mann starb, noch bevor David sein zehntes Lebensjahr erreicht hatte. Doch der Gestank im Garten blieb noch einige Jahre erhalten.
An manchen Tagen trägt das Wasser noch immer den Geruch von Fäulnis mit sich, auch wenn die Leichen längst verschwunden sind. Zumindest gesehen hat David seit Monaten keine mehr, doch ihr Geruch liegt manchmal wie der hauchdünne Duft eines widerlichen Parfums in der Luft.
Er weiß, dass es noch genügend Leichen auf der Welt gibt, die für immer unentdeckt bleiben und in Kellern, Gruben oder überwucherten Gärten verrotten. Vielleicht kommen sie in den Nächten mit dem Fluss in die Stadt. Dann, wenn sie keiner sehen kann. Sie treiben auf dem Wasser; blasse, verzerrte Flecken im schwarzen Glitzern des Flusses, durchqueren die Stadt wie Landstreicher und verschwinden, ehe der Morgen anbricht. David war noch nie in der Nacht am Fluss. Aber am Tage kann er die Toten manchmal riechen, deshalb weiß er, dass sie hier waren.
Er sieht dem Wasser zu, das schwarz an ihm vorbeizieht. Mückenschwärme kreisen über den Wellen und folgen der Spur des Todes.
Sam sitzt etwas abseits von ihm, gegen einen der
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