Die Saat der Bestie (German Edition)
die ihre Handgelenke zusammenhalten. Sie lässt ihren Kopf auf die Brust fallen und starrt auf den Boden.
Alles ist grau und dunkel, als würde sie einen alten Horrorfilm mit Boris Karloff im Kino sehen. Um sie herum scheint es nur Schatten zu geben; schwarze, graue und braune Schatten, die zusammen kein Ganzes ergeben wollen.
Alles ist farblos, außer ihrem Körper. Ihr nackter Körper leuchtet seltsam weiß inmitten des dunklen Meeres, in das sie sich beim Anblick ihrer bleichen Brüste fallen lässt.
***
Als Sam erneut zu sich kommt, ist das erste, was sie bewusst wahrnimmt, der Gestank. Sie öffnet ihre Augen gegen ihren Willen und wird mit Schmerzen bestraft, die ihre Augäpfel nach außen zu drücken versuchen und sich in Wellen um ihren ganzen Kopf verteilen. Die Welt schwimmt immer noch in einer grauen Pfütze.
Sie lässt ihren Blick erneut die bleichen Arme emporwandern, kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und betrachtet prüfend die Fesseln an ihren Handgelenken. Es sind dünne Lederschnüre, die wie schwarze Adern über ihre Haut verlaufen. Je länger sie die Fesseln betrachtet, desto intensiver spürt sie den Schmerz in den Gelenken.
In ihren Gedanken bewegt sie ihre Hände, zerrt an den Fesseln und versucht, die Gelenke gegeneinander zu reiben, um auf diese Art die Schnüre zu lockern. In Wirklichkeit jedoch scheinen ihre Arme und Hände bar jeglichen Lebens zu sein. Sie kann nicht einmal einen Finger bewegen. Ihre Arme gleichen toten, bleichen Fischen im Mondlicht. Die Erkenntnis bringt die Panik zurück. Noch nie in ihrem Leben kam sie sich so hilflos und ausgeliefert vor.
Ihr Blick wandert an ihrem Körper hinab. Ihre kleinen Brüste leuchten gespenstisch weiß im Dunkeln. Sie kann ihre Schenkel sehen, nackt, blass und verdreckt. Direkt oberhalb des Knies erkennt sie das breite Grinsen einer tiefen Wunde, deren Rand dunkel von geronnenem Blut ist.
Dann findet sie die Ursache des Gestanks. Scham und Ekel steigen gleichermaßen in ihr aus einer kalten Dunkelheit empor. Sie steht inmitten einer glänzenden Pfütze ihres eigenen Urins.
Mit einem heiseren Würgen zieht sie die Füße nach oben, doch sofort brüllt der Schmerz von ihren Armen in ihren Kopf. Mit einem nassen Klatschen tauchen die Zehen in die stinkende Brühe zurück. Sam bleibt so lange in der Ballettstellung stehen, die sie vor Ewigkeiten einmal in der Schule gelernt hatte, bis sich ihre Arme von den Schultern zu lösen scheinen. Dann schließt sie die Augen, stößt ein raues Grunzen in die Dunkelheit und taucht ihre Füße komplett in die Flüssigkeit.
Ihre eigene Ausscheidung erfüllt sie mit Abscheu. Sie beißt die Zähne zusammen, bis ihre Kieferknochen knacken und eine erneute Schmerzwelle durch ihren Kopf rollt. Dann wirft sie den Kopf in den Nacken, starrt auf das stramme Seil ihrer Arme und versucht ihre hektische Atmung zu beruhigen. Der Gestank umhüllt sie wie ein widerliches Parfum.
Ihre Augen folgen dem Balken, an dem sie hängt. Trotz der Dunkelheit glaubt Sam zu erkennen, wie er sich etwas weiter von ihr entfernt mit einem anderen Balken kreuzt. Sie folgt dem Balken mit ihren Blicken, doch das dunkle Holz verschwindet schon nach wenigen Metern in völliger Finsternis.
Sie versucht, den Kopf zu drehen, um zur Seite zu blicken. Irgendwo hinter ihr muss sich ein kleines Fenster oder eine Tür befinden, durch die das graue Licht in ihr Gefängnis sickert. Doch alles, was sie sehen kann, ist ein altes Holzregal, das links von ihr an der Wand steht und auf dessen Brettern verschiedene Gläser und Flaschen stehen. Sie glaubt, Spinnweben zu erkennen, die das Regal wie ein farbloser Vorhang schmücken. Dann knackt einer ihrer Halswirbel und sie starrt wieder nach vorn, auf eine schwarze Mauer aus feuchtglänzenden Steinen. Der Geruch von Moder vermischt sich mit dem Gestank der Pfütze zu ihren Füßen.
Als Sam den Kopf nach rechts dreht, erkennt sie einen einzelnen Stuhl, der in der Ecke des Raumes steht und so ausgerichtet ist, dass jemand, der darauf Platz nimmt, direkt auf ihren entblößten Körper starren kann.
Der Gedanke jagt eisige Wellen durch ihren Körper. Wie lange ist sie ohne Bewusstsein gewesen, seit man sie hierher gebracht hat? Ein Zuschauer, der sich an ihrer Qual ergötzen wollte, hätte genügend Zeit gehabt, sich an der makabren Show zu erfreuen.
Sie versucht, ihren Kopf noch weiter zu drehen, aber ihre gefesselten Hände verhindern das. Alles, was sie von ihrem Gefängnis erkennen
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