Die Saat der Bestie (German Edition)
Gefühl in ihrem Magen, als der Boden unter ihr in schier unerreichbare Ferne rückte, obwohl sie gerade mal drei Meter geschafft hatte. Ebenso entsann sie sich an das trockene Brechen des Astes, an dem sie sich gerade festhielt, um Tonis flinken Bewegungen zu folgen. Am tiefsten hat sich ihr jedoch das Gefühl des freien Falls in ihre Gedanken gebrannt. Das, und der anschließende Schmerz, der ihren Körper wie eine Welle aus purem Feuer durchflutete, als sie am Fuß der Birke aufschlug und ihr mit einem schmerzhaften Schlag die Luft aus den Lungen gepresst wurde.
Sie starrte in den grellen Himmel hinauf, der durch das tanzende Dach der Äste über ihr wie ein Meer funkelnder Diamanten wirkte, und versuchte, nicht daran zu denken, an welchen Stellen ihr Körper wie Feuer brannte.
Als jedoch Toni neben ihr auftauchte, mit seinem ernsten Gesicht, in das sich zusätzlich eine tiefe Sorge und sogar Furcht gemischt hatten, vergaß sie jeglichen Schmerz, lächelte verlegen zu ihm hinauf und ließ sich schließlich von ihm auf die Beine helfen, indem sie seine dargebotene Hand nur allzu gerne ergriff. Die Schmerzen waren durch seine bloße Berührung verschwunden.
Toni war nie ihr Freund geworden. Er hatte einige Monate nach diesem Sommertag etwas mit Tracy Myers angefangen, einem Mädchen, das nicht halb so intelligent war wie er.
Doch von diesem Tag im Stadtpark an wusste Sam, dass sie durchaus dazu in der Lage war, Schmerzen zu ertragen und sie sogar ignorieren konnte.
In ihrem späteren Leben wurde ihr noch oft weh getan; weniger körperlich, dafür umso mehr psychisch. Und meistens waren es Männer gewesen, die ihr diese ganz speziellen Schmerzen mit einem kalten Lächeln zugefügt hatten. Jedes Mal, wenn dieses verzehrende und hungrige Feuer in ihr wütete, dachte sie an den Tag auf der Birke zurück und daran, wie sie es geschafft hatte, Toni vorzuspielen, alles sei in Ordnung.
Man hatte Sam nie angesehen, wenn sie litt. Diese Genugtuung wollte sie keinem Mann auf Erden zukommen lassen. So sehr die Flammen auch an ihrer Seele leckten und sich durch ihre Knochen fraßen, nach außen hin war sie stets beherrscht und kalt geblieben. Sie konnte sich hervorragend selbst täuschen.
Als sie jetzt die Augen öffnet, ist ihr erster Gedanke Toni di Salvo. Dann denkt sie an den Sommertag auf der Birke, danach an Bill Clinton.
Sie reißt die Augen so schnell auf, dass ein Feuerball hinter ihrer Stirn explodiert. Sie blickt sich um und merkt, dass ihre Bewegung eingeschränkt ist.
Bill Clinton.
Die Welt rast um sie herum, stürzt auf sie zu und zieht sich dann wieder in finstere Ecken zurück, um sich erneut auf sie zu stürzen. Zudem scheint alles um sie herum seine Farben verloren zu haben.
Sie starrt in graue und schwarze Schatten, die ineinander zu fließen scheinen und keine richtige Struktur besitzen. Ich bin blind , denkt sie mit erstaunlicher Sachlichkeit und versucht, sich auf die Schmerzen in ihrem Kopf zu konzentrieren. Doch das Pochen und Hämmern sammelt sich nicht nur hinter ihren Augen. Ihr gesamter Kopf macht den Eindruck, als versuche sich etwas mit brachialer Gewalt daraus zu befreien.
Sie denkt an Bill Clinton, der vor ihr gestanden und sie angegrinst hat. Sein Gesicht ist nicht so farblos gewesen wie die Welt um sie herum, sondern auf eine verstörende Weise bunt und surreal, als hätte sie ein übertrieben geschminkter Clown angelacht.
Sam versucht sich erneut umzublicken. Sofort dreht sich die Welt mit ihr und reißt sie in einen nebelverhangenen Strudel. Gleichzeitig bemerkt sie, dass sich die Schmerzen nicht ausschließlich auf ihren Schädel konzentrieren. Sie wirft den Kopf in den Nacken, hat das Gefühl, nach hinten zu kippen, und lässt ihren verschwommenen Blick die bleiche Haut ihrer nackten Arme emporgleiten.
Weiter über sich, glaubt sie etwas Dunkles zu erkennen. Etwas, woran ihre Hände gefesselt sind.
Panik erfüllt sie. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürt sie kalte, uralte Furcht, die jede einzelne Zelle ihres Körpers in Eis verwandelt und sie zu einem unbedeutenden Staubkorn schrumpfen lässt. Dann bringen sie die Schmerzen wieder in die Wirklichkeit zurück, die Schmerzen in ihrem Kopf und in ihren Armen und Händen.
Deshalb kann sie sich nicht bewegen. Sie ist gefesselt, mit hoch über den Kopf erhobenen Armen. Wie es scheint, hängt sie an einem schwarzen Balken, der über ihr entlang läuft. Ein Grunzen kommt aus ihrer Kehle, als sie die dünnen Lederriemen betrachtet,
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