Die Saat der Bestie (German Edition)
Gesicht, als könne die Flamme die Pest bannen, die sich lautlos auf sie zu bewegt.
Was Sam sieht, lässt ihren Atem stocken.
Das flackernde Kerzenlicht kriecht widerwillig über eine bizarre Landschaft aus Unrat, Müll und dreckiger Kleidung. Verbeulte Blechkonserven liegen in Nestern aus fleckigen Hosen und zerfetzten Hemden, auf denen Sam die dunklen Flecken von Blut erkennen kann. Zerknülltes und zerrissenes Papier bedeckt Boden und Mobiliar, an den Wänden sind Spuren von Fäkalien zu erkennen, die jemand mit den Händen dort verteilt hat. Sie kann Worte in kindlicher Schrift auf der altertümlichen Tapete erkennen, geschrieben mit braunem, verschmiertem Brei.
Hurenfleisch. Und an einer anderen Wand, unterhalb der Decke: Der tote Gott.
Das hungrige Summen von Fliegen erfüllt das Zimmer wie das Flüstern von Geistern. Sam kann ihre buntschillernden Körper am Rande des Kerzenscheins erkennen. Sie kriechen über dunkle Haufen, die teilweise von Papier und Einkaufstüten bedeckt sind. Durch die Fliegen bewegt sich das Papier, als befände sich etwas Lebendiges darunter. Sie kriechen über die Botschaften an den Wänden und laben sich am Gestank der Exkremente.
Sam hat das Gefühl, das die Luft in dem Raum flimmert, so wie heißer Asphalt in der Sonne.
Als sie über die Schwelle tritt, glaubt sie, eine andere Dimension zu betreten. Die Luft ist trocken und heiß und stellt sich ihr wie eine lebendige, pulsierende Wand entgegen. Das Kerzenlicht schafft es nur schwer, bis in die Ecken des Zimmers zu fließen, als weigere sich die Dunkelheit, dem Licht zu weichen. Das Papier raschelt unter ihren nackten Füßen, Fliegen steigen schwirrend auf und verzerren die fiebrige Atmosphäre des Raumes.
Sams Blick gleitet unstet durch das Zimmer, sucht das Bett, in dem sie mit David geschlafen hat, findet es und verharrt dort.
Für Augenblicke bleibt die Welt um sie herum stehen, die lebendige Luft des Raumes verwandelt sich in eine undurchdringliche Wand bösartiger Präsenz. Sams Herzschlag ist das einzige Geräusch, gleichmäßig und sterbend wie eine Uhr, die dem Ende entgegenläuft.
Auf dem Bett liegt David, auf dem Rücken, nackt. Sein Glied hängt schlaff zwischen seinen gespreizten Beinen, ein Arm hängt über die Bettkante, der andere bedeckt die Stirn. Seine Brust hebt sich ruhig und regelmäßig. Der saure Gestank von Alkohol vermischt sich mit dem von Fäkalien und Urin.
Sam tritt einen Schritt näher. Eine leere Whiskeyflasche rollt raschelnd über zerrissenes Papier. Dann bleibt sie stehen. Die Freude darüber, David zu sehen, verwandelt sich innerhalb weniger Augenblicke in eine Kälte, deren Ursprung sie zunächst nicht bestimmen kann. Sie hebt den Arm mit der Kerze höher, so dass sich gelber, flackernder Schein über das Bett und David ergießt.
Mit ausdruckslosem Gesicht betrachtet Sam den Mann, dem sie sich hingegeben und dem sie vertraut hat; den Mann, der in ihr zum ersten Mal seit Mike Gefühle weckte, von denen sie glaubte, dass sie zusammen mit dem Rest der Welt untergegangen waren.
Seine Haut schimmert so weiß wie Porzellan im Kerzenlicht, fast wie die eines Toten. Doch es ist nicht Davids nackte Haut, die ihren Blick derart fesselt.
Ihre Augen wandern über seine gespreizten Beine über seine Genitalien hinauf zur Brust und von dort den ausgestreckten Arm entlang, der über den Rand des Bettes hinausragt. Davids Finger bewegen sich leicht, als würde er im Schlaf nach etwas greifen.
Sams Blick gleitet weiter; hinab in den grauen Bereich neben dem Bett, wo sich das Kerzenlicht in ein mattes Glühen verwandelt. Dort, auf dem Boden, inmitten Davids schmutziger Kleidung, liegt … Bill!
Sams Verstand beginnt Bilder zusammenzusetzen. Kleine Teile, die sie selbst zerrissen hat, weil sie sich die ganze Zeit über weigerte, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Dunkle Bilder, die ihre Gedanken in hartes Eis verwandeln. Die Stimme ihres Peinigers, gedämpft durch die Maske, aber dennoch eine Stimme, die sie kannte. Sein nackter Körper, der sich im Keller der Kirche an ihr rieb, der tief in sie drang und sie auf dieselbe Weise ausfüllte, wie David es in ihrer gemeinsamen Ekstase einige Nächte zuvor getan hat. Der Geruch des nackten Körpers auf ihr, der zwar nach nassen Tieren stank, doch zweifelsohne die Note von David trug.
Wie sehr hatte ihr Verstand sie belogen? Anstatt die Wahrheit zu erkennen, hatte Sam das Bild zerrissen, das sich in ihr formte, und in die hinterste Nische ihres Geistes
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