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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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treibt ihr Tränen in die Augen. Sie versucht, sich an sein Lächeln zu erinnern. Hatte er Grübchen und zeigte seine Zähne beim Lächeln? Oder verzog er seinen Mund lediglich zu einem Schmunzeln? Wie roch er, wenn er sie im Arm hielt? Wie fühlte sich seine Berührung an?
    Sam verbirgt ihr Gesicht zwischen den angezogenen Knien und schließt die Augen. Sie will nicht alleine sein. Nicht jetzt. Sie will noch einmal an ihrem Geburtstag geküsst werden und sich anschließend die feuchte Spucke von den Großeltern und Tanten von der Wange wischen müssen. Sie will sich noch einmal mit Cindy prügeln und den Schulhof säubern müssen; einen Schulhof, so groß wie die Welt. Und sie will wissen, wer Mark war, wie er aussah, und was sie damals an ihm gefunden hat. Und wie Mike roch und noch ein letztes Mal von Mike geliebt werden. Noch einmal in seinen Armen liegen und sich nicht um die letzten Atemzüge einer sterbenden Welt kümmern müssen. Es gibt so viel, das Sam im Moment tun möchte. Alles, nur nicht alleine sein.
    Je mehr sie sich zu erinnern versucht, desto schwerer fällt ihr das Atmen, als würde ihr jemand langsam aber beständig die Kehle zudrücken. Wie gerne würde sie jetzt einschlafen. Den Kopf gegen die Wand lehnen und die Welt einfach hinter sich lassen. Kein Mensch würde sie vermissen, keine Cindy, kein Mark und kein Mike. Nicht einmal David würde sie fehlen.
    David …
    Der Gedanke an ihn reißt sie erbarmungslos in die Wirklichkeit zurück. Ihr Blick wandert unstet durch den Raum. Durch die staubigen Fenster fällt der bläuliche Schein von Mondlicht und überzieht alles mit bleichen Schleiern.
    Sie weiß, dass David hierher kommen wird, früher oder später. Er kommt immer hierher. Es ist der einzige Ort, der David noch geblieben ist. Und Sam wird auf ihn warten.
    Sie hätte die Stadt verlassen können. Immer am Fluss entlang, immer nach Westen, so, wie sie es geplant hatte. Doch etwas hält sie fest. Irgendetwas, das sie nicht bestimmen kann. Hass? Stolz? Oder einfach nur die Gier nach Genugtuung, die allen Menschen eigen ist?
    Sam denkt darüber ebenso wenig nach wie über das Ende der Welt. Es ist besser so, denn wenn sie damit anfängt, würde sie die Stadt innerhalb der nächsten Stunde verlassen. Zu viele Gedanken können sich zu Vernunft entwickeln. Und etwas sagt ihr, dass alles, was sie getan hat, seit sie in die Stadt gekommen ist, nicht mit Vernunft erklärt werden kann. Warum sollte sie sich also jetzt von überflüssigen Attributen der Menschen leiten lassen? Da waren Gefühle wie Hass, Stolz oder Gier bessere Begleiter – besonders, wenn man überleben will. Vielleicht auch eine gesunde Portion Irrsinn. Doch so weit will Sam nicht denken.
    Sie spürt, wie ihre geisterhaften Erinnerungen an die alten Tage verblassen. Zurück bleiben nur der staubige, nach vermoderten Teppichen riechende Raum, sie selbst und das kränkliche Licht des Mondes.
    David wird kommen, da ist sie sich sicher. David weiß, wo er sie findet – und Sam wird da sein …

    ***

    Ich kann sie riechen. Die Stadt hat ihren Duft angenommen. Jede Ecke, jeder Stein – ihr brunftiges Parfum schwängert die Nacht und weist mir den Weg.
    Ich wusste, dass sie zurückkommt. Aus ihrem Körper sickert ein Fieber, das mich fast um den Verstand gebracht hat, als sie wie ein bleicher Engel vor mir stand. Ihre Glut hat den Raum wie ein lebendiges, williges Wesen erfüllt und die Jagd eröffnet.
    Die Frau will gefunden werden. Sie braucht den Kitzel der Verfolgung, den Schauer der Hatz und die Gewissheit, dass sie ihrem Jäger schutzlos ausgeliefert ist. Die Frau will genommen werden. Hart, brutal, wie räudiges Getier. Sie will ihre Ekstase durch die Straßen der toten Stadt schreien und die Nacht mit ihren gierigen Säften beflecken.
    Ich komme, kleine Frau. Ich werde dich finden. Deine Säfte zeigen mir den Weg. Ich weiß, wo du bist.
    Inmitten des steinernen Friedhofs werde ich meine Beute erlegen. Endgültig …
    Der Geruch wird stärker. Die Luft vibriert vor bestialischem Verlangen.
    Ich komme, kleine Sammy, ich komme …

    ***

    Sam hat sich den Raum, als es heller war, genau angesehen und eingeprägt. Sie weiß, wo die Regale an den Wänden stehen, die Tische mit Kleidung und Unterwäsche, wo die Schuhe stehen und sich die Verkaufstheke mit der altmodischen Registrierkasse befindet.
    Jetzt, da sich die Nacht über die Stadt gesenkt hat, scheint sich der Raum zum Sterben niedergelegt zu haben. Schwarze Schatten ragen wie

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