Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Saat der Erde Roman

Titel: Die Saat der Erde Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
Vom Netzwerk:
guter Gelehrter … da stehen wir vor dieser wundervollen Konstruktion, die das Werk der großen Ahnen bewahren soll, und wenn der Wächter aufwacht,
verstehen wir kein Wort.« Er lächelte. »Einen von draußen rufenden Menschen verstehen wir jedoch problemlos … ich bitte um Verzeihung, aber das ist schon umwerfend komisch …«
    »Das verstehe ich, Lauscher«, sagte er, obwohl er Weynls Heiterkeit missbilligte. Dann fragte er sich, woher die Empfindung rührte. Verwandle ich mich etwa allmählich in einen strengen, humorlosen Traditionalisten? Vielleicht würde mir ein bisschen Spaß ganz guttun!
    Plötzlich wandte Weynl sich mit aufgerissenen Augen und geöffnetem Mund zu Chel um.
    »Ach, ich war ein blinder Narr!« Er streckte die Hand zur Oberfläche des Brunnens aus. »Die Großen Ahnen haben diese Anlage erbaut, liegt es da nicht nahe, dass der Wächter ihre Sprache spricht?«
    »So ist es«, sagte eine seufzende Flüsterstimme in der Nähe. »Enttäuschend, dass du so lange gebraucht hast, dies zu erkennen.«
    Über der Lampe schwebten die zarten Umrisse einer Kapuzengestalt, deren geisterhafte Konturen aus kleinen Staubpartikeln gebildet wurden, die in der von den Schlitzen in der Oberseite der Lampe aufsteigenden Wärme wogten.
    »Verehrter Pfadmeister«, sagte Wenyl und verneigte sich. »Dann ist es also wahr - der Wächter versteht nur die Sprache der Großen Ahnen.«
    »Ich meine mich erinnern zu können, dass er mehrere andere Verständigungsweisen fließend beherrschte, auch wenn er sie nicht alle sprach. Allerdings erinnere ich mich auch, dass er recht reizbar war. Vielleicht kann ich ihn zu ein wenig mehr Entgegenkommen bewegen.« Der Pfadmeister legte eine Pause ein. »Cheluvahar, wie ich sehe, hat Segrana Veränderungen bei dir bewirkt - ich hätte eigentlich
erwartet, dass du etwas mehr Überraschung zeigen würdest.«
    Chel hätte bei der Vorstellung, wie Gregoris Kommentar dazu ausgefallen wäre, beinahe gelächelt.
    »Ja, Pfadmeister, überrascht war ich wirklich, als ich aus dem Vodrun gekommen bin.«
    »Deine Bedeutung lässt sich gar nicht hoch genug veranschlagen, jüngster aller Lauscher«, sagte der Pfadmeister. »Segrana hat seit dem Krieg der Langen Nacht, als Hunderte von Sehern gebraucht wurden, um die Gelehrten anzuleiten, keinen mehr wie dich hervorgebracht. Damals fanden Schlachten am Himmel statt, aber auch hier am Boden, wo gegen die niederen Diener der Traumlosen gekämpft wurde, gegen Metallwesen, die krochen, rannten, flogen oder schwammen und die Wälder und Ebenen heimsuchten, die Hügel und Täler. Sie wollten die unerschütterliche Einheit der Uvovo brechen, doch es ist ihnen nicht gelungen.
    Segrana weiß, dass wir wieder Seher brauchen, doch sie ist geschwächt - der Krieg der Langen Nacht hat ihr etwas geraubt, das seitdem nicht wiederhergestellt wurde, deshalb kann sie nur tun, was in ihren bescheidenen Kräften steht.«
    »Hochverehrter«, sagte Chel, »ich dachte, meine Fähigkeiten wären denen eines Lauschers vergleichbar, du aber nennst mich Seher …«
    »Bestimmte Aspekte deiner Sinne werden dir erst mit der Zeit bekannt werden. Und auch dies solltest du bedenken - den Weg vom Gelehrten zum Lauscher und zum Pfadmeister vermag Segrana zu beschreiten, doch ein Seher kann nicht Pfadmeister werden.«
    Chels Neugier war geweckt. »Was aber wird ein Seher dann? Was werde ich einmal sein?«

    »Nach den vor dir liegenden Umwälzungen und Kämpfen?«, sagte der Pfadmeister. »Wenn du Glück hast, wirst du dann noch am Leben sein.« Seine Gestalt verschwamm ein wenig. »Und nun überlasst es bitte mir, mit dem Brunnenwächter zu sprechen - geht mit dem Menschen zurück zum Lager. Ich werde nachkommen und euch berichten, was die Unterredung ergeben hat.«
    Der Pfadmeister verstummte. Chel musterte seine durchscheinende Gestalt, die fragmentarischen Umrisse, die im goldenen Lampenschein zitterten. Dann blickte er Lauscher Weynl an, der die Achseln zuckte und sich vor dem Pfadmeister verneigte. Chel tat es ihm nach, dann traten die beiden Uvovo von der gemusterten Oberfläche des Brunnens herunter und wandten sich zum Ausgang.
    »Phruson«, sagte Weynl nachdenklich, als sie den Raum mit den vier Säulen durchquerten.
    »Verzeihung, Lauscher?«
    »Phrusonemejas war einer der drei großen Pfadmeister, die den Krieg der Langen Nacht überlebt haben - in den darauf folgenden Jahrhunderten legten beide ihre geschwächte fleischliche Hülle ab und begannen ihre Reise zum

Weitere Kostenlose Bücher