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Die Saat der Erde Roman

Titel: Die Saat der Erde Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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glichen. Der Lauscher, der sich nicht vorgestellt hatte, geleitete Chel wortlos zu einer Lichtung, wo eine stabil wirkende Strickleiter zu einem der unteren Äste eines riesigen Eisenholzbaums hinaufführte. Zwei weibliche Uvovo, die sich in der Nähe unterhielten, verstummten und verneigten sich lächelnd vor den Ankömmlingen.

    »Möge Segrana dich willkommen heißen«, sagte die eine.
    »Möge Segrana dir das Ewige offenbaren«, sagte die andere.
    »Schwestern, ich danke euch.« Chel verneigte sich, dann fasste er die Leiter und kletterte in die Höhe.
    Er hatte bereits auf Niwjesta an Verpuppungen teilgenommen und wusste um die Bedeutung des Kletterns, des symbolischen Aufstiegs aus dem Reich des Gewöhnlichen in das der Wunder, aus dem Vertrauten ins Sublime, aus dem Unwissen ins gefahrvolle Wissen. Er hatte sich immer vorgestellt, dass seine eigene Verpuppung auf dem Waldmond stattfinden würde, unter der Anleitung und dem Beifall seiner Familie und seiner Freunde, nicht hier an diesem kalten, finsteren Ort, wo er niemanden kannte.
    Von dem Eisenholzast führte eine weitere Strickleiter zu einem höheren Ast hinauf, von dort ging es zu einem anderen Baum hinüber. Dann weiter nach oben und zu einem wahrhaft großen Baum, der wie ein vielarmiger Riese im Dämmerlicht aufragte. Er hatte Dutzende Äste, die ziemlich dicht beieinanderstanden, so dass Chel den kleinen Lichtern, die sich an dem knorrigen, bemoosten Stamm nach oben wanden, mühelos folgen konnte.
    Schließlich gelangten er und der Lauscher zu einer größeren Plattform aus miteinander verwobenen Zweigen, wo sie von einer Gruppe von Uvovo, bekleidet mit braunen Gewändern und gelben Kappen, erwartet wurden. Dies waren die Lastenbefreier, und er reichte ihnen seinen Reisesack, seine Kleidung mitsamt der Unterwäsche, den Knie- und Fußschutz und die Halskette mit dem Zoza-Stein. Sodann kletterte er, den Anweisungen des Lauschers folgend, auf die Versenkungsplattform, wo er seine Gedanken sammelte und sich vorbereitete, wie es üblich
war. Nicht weit über ihm befand sich die Schwelle mit der Vodrun-Kammer, wo ihn ein einzelner Lastenbefreier erwartete, der ihm den Becher des Lichts überreichen würde.
    Chel schauderte. Hier oben war es kälter als am Boden, dunkel und dunstig. Hin und wieder fielen Tropfen aus dem Blätterdach herab. Er dachte an Gregori, der ihm zum Abschied eines der neuen Musikgeräte geschenkt hatte, und fragte sich, ob der Attentäter wohl geschnappt worden war. Dann dachte er an Catriona und deren obsessive Suche nach den Pfadmeistern, die sich nur dann finden ließen, wenn sie gefunden werden wollten. Und er dachte an Lauscher Weynl und Lauscher Faldri und den namenlosen Lauscher, der weiter unten zurückgeblieben war (vermutlich war dies Eshlo, der Lauscher von Sternendach), und versuchte sich vorzustellen, wie sein Körper sich verwandelte, wie die Knochen sich verlängerten, das Fleisch sich dehnte. Würde er Schmerzen empfinden, und wenn ja, wie lange?
    Plötzlich wünschte er, Greg und Catriona wären bei ihm gewesen. Er holte tief Luft und wandte sich der letzten Leiter zu.
    Ich werde umgeformt und neu erschaffen, dachte er. Jetzt ist es so weit.
    Mit neuer Entschlossenheit kletterte er zur Schwellenplattform hoch, wo an gebogenen Stangen zwei Lampen hingen. Eine maskierte Lastenbefreierin trat vor und reichte ihm eine kleine ovale Schale, die er entgegennahm, mit dem schmalen Ende an die Lippen führte und leertrank. Das Getränk schmeckte frisch, wie Himmelsblattwasser, und hinterließ einen schwachen Nachgeschmack auf der Zunge. Die Tür des Vodruns war offen. Ohne Zögern trat er geduckt hindurch und setzte sich auf die schlichte Bank, die aus dem Innern herausgeschnitten
war. Flüchtig fragte er sich, wo die Lauscher wohl die Samenkapsel des gewaltigen Vunris gefunden hatten, der auf Umara angeblich ausgestorben war. Im Lampenschein konnte er erkennen, dass das Innere des Vodruns mit feinen Schnitzereien geschmückt war, die Muster, Gesichter, Tiere Segranas und ein paar zufällig wirkende Umrisse darstellten …
    Die Lastenbefreierin stand im Eingang und musterte ihn hinter ihrer Holzmaske hervor.
    »Segrana erwartet dich«, sagte sie. »Sie wird dir alle Wege zum Ewigen zeigen - sei bereit.«
    Chel neigte lächelnd den Kopf. Die Lastenbefreierin trat zurück und schloss die Tür. Auf einmal war es stockfinster.
    Mit geschlossenen Augen lehnte er sich an die raue Innenwand der Samenkapsel. Er wusste, dass der Becher

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