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Die Saat der Erde Roman

Titel: Die Saat der Erde Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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auf Chels Stirn an. Auf einmal flatterten die Lider der beiden äußeren Stirnaugen, während Chel seine ursprünglichen Augen mitsamt der beiden mittleren fest geschlossen hielt. Das neue Augenpaar musterte Greg, der unsicher lächelte.
    »Was siehst du?«
    Die Augen betrachteten den flachen Graben, die geneigten Wände aus verdichtetem Erdreich und Bauschutt, dann schauten sie einen Moment zum Himmel hoch und fassten schließlich wieder »Die Treppe« und deren düstere Tiefe in den Blick.
    »Ich sehe das verborgene Antlitz Umaras«, murmelte Chel. »Ich sehe Momente der vergessenen Geschichte. Dieser Steinblock zum Beispiel« - er deutete auf einen unregelmäßig geformten Stein mit glatter Außenseite - »war einmal Teil eines Bogengangs, und der da drüben gehörte zu einer Stützmauer. Und wenn ich dir ins Gesicht schaue, Gregori, sehe ich ganz deutlich deine Eltern … und einen
Mann mit schmalem Gesicht und einem fehlenden Ohr, und eine Frau mit langem schwarzen Haar und einer weißen Strähne …«
    Auf einmal bekam Greg Herzklopfen. »Mein Großvater Fingal war Jäger und hat ein Ohr an einen Bergwolf verloren, und die Frau mit der weißen Strähne muss meine Urgroßmutter Moira sein - Chel, wie …«
    Der Uvovo betrachtete ihn mit seinen neuen Augen, deren Farbe zwischen Braun und Grün changierte. »Das ist Segranas Geschenk, mit dem ich ihren Auftrag erfüllen soll.«
    Greg entging nicht der Unmut in Chels Tonfall, doch nun, da er den ersten Schock verwunden hatte, konzentrierte er sich auf die neuen Fähigkeiten des Uvovos und die sich daraus ergebenden Folgerungen.
    »Und was ist mit dem anderen Augenpaar?«, fragte er.
    »Das weiß ich nicht genau«, sagte Chel, streifte wieder das Stirntuch über und öffnete seine gewöhnlichen Augen. »Ich kann das, was sie mir zeigen, noch nicht deuten - manchmal habe ich das Gefühl, damit eine Art Sprache zu sehen, die dem, was mich umgibt, zugrunde liegt, und wenn ich Zeichen oder geschriebene Worte oder Bilder betrachte, kommt es mir so vor, als versuchte ein Teil meines Geistes, ihnen eine andere Bedeutung zu entlocken.«
    »Vielleicht sollen die beiden Augenpaare sich gegenseitig ergänzen.«
    Chel lächelte freudlos. »Ich habe schon versucht, sie zu koordinieren - einmal. Das Ergebnis lässt sich schwer beschreiben, es ist, als schwirrten mir tausend Argumente durch den Kopf, bloß dass da keine Stimmen miteinander streiten, sondern Bedeutungen! Als ich rauskam - als ich aus dem Vodrun herausgekrochen bin, habe ich gedacht, ich würde verrückt werden. Es war, als werde eine Stadt
überflutet und vom Sturm zerfleddert, und mir bliebe nichts anderes übrig, als die Zerstörung von einem nahen Hügel aus zu beobachten. Hätte Lauscher Eshlo mir nicht augenblicklich die Augen bedeckt …« Er verstummte.
    Ist das wirklich wahr?, überlegte Greg. Ist Segrana wirklich eine bewusste Wesenheit, eine weit verteilte Intelligenz, die in der Lage ist, einzelne Uvovo von Grund auf zu verwandeln? Er hatte noch nie davon gehört, dass Uvovo mit zusätzlichen Augen zur Welt gekommen wären, doch jetzt hatte er einen solchen Uvovo vor sich, was darauf hindeutete, dass die zusätzlichen Augenpaare Teil des Uvovo-Genoms waren. Was zu folgender Frage führte: Waren diese Eigenschaften die Folge einer evolutionären Anpassung oder einer Genmanipulation?
    »Chel, hast du schon die Reliefs und Zeichen mit deinen neuen Augen betrachtet?«
    »Mehrfach«, antwortete Chel.
    »Ist dir dabei etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Etwas rational Fassbares?«
    »In Tapiola gibt es mehrere Wohnhäuser am Boden, und das, in dem ich übernachtete, ist mit zahlreichen Meditationsgegenständen ausgestattet, mit Holzfiguren und Wandtafeln. Auf einer war das Zeichen Hmul dargestellt, was so viel bedeutet wie ›Befreiung von Lasten‹, aber als ich die neuen Augen öffnete, wurde Elishum daraus, was ›Werk der Ruhe‹ bedeutet.«
    Greg nickte, und sein Lächeln vertiefte sich, als er eins und eins zusammenzählte.
    »Chel, mein Freund, ich glaube, du könntest mir bei der Lösung eines kleinen Problems behilflich sein.« Dann berichtete er dem Uvovo von seiner Begegnung mit Lavelle, dem Xenospezialisten der Herakles , geleitete ihn zu seiner Hütte und zeigte ihm die Scans von der Schulter des Riesen.
Während Chel im Schein der Schreibtischlampe die Ausdrucke betrachtete, berichtete er von seiner nächtlichen Expedition, dem seltsamen Gang und der Säulenfalle, die ihm den Weg versperrt hatte.

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