Die Saat der Finsternis (German Edition)
erkämpft hatte.
Unterdessen fand Lys langsam zur Ruhe. Sie lagen Bauch an Bauch, Lys ruhte auf ihm, etwas seitlich gelagert, was Lamár das Atmen erleichterte. Er spürte den schlanken, sehnigen Körper, noch immer leicht vor Kälte bebend; die bloße Haut unter seinen Armen, mit denen er Lys fest umfangen hielt. All dies war so vertraut, so gut … Es vertrieb ein weiteres Mal den sonst ständig präsenten Schmerz aus seinem Kopf. Stattdessen weckte es Sehnsucht und Verlangen nach etwas, das nicht zu missverstehen war – diesmal nicht. Die Reaktion seines Körpers war eindeutig. Beschämt hoffte er, Lys würde zu müde sein, um die Erektion unter seinen Schenkel zu spüren.
Was ist nur mit mir? Es ist verboten … es kann nicht richtig sein …Gewiss, er scheint mich zu lieben, warum sonst hätte er so viel auf sich genommen – aber wohl nicht diese Art von Liebe? Oder vielleicht doch, bloß, der Layn … man wird ihm nichts Gutes getan haben …
Eine hartnäckige Stimme flüsterte in seinem Hinterkopf, dass ihm derjenige, der ihm diese Fragen beantworten konnte, gerade so nah wie möglich war, ohne Verbotenes zu treiben.
Wenn ich mich irre, wird er mir nie mehr so nahe kommen wollen.
Dieser Gedanke war erschreckender als er hätte sein dürfen, und das gab schließlich den Ausschlag. Noch vor einigen Tagen hätte Lamár alles dafür gegeben, Lys niemals wieder ansehen zu müssen; ihn zu vergessen, nur um nicht länger zu leiden. Aber jetzt, wo er Lys’ leichten Atem an seinem Hals spürte, die Bewegungen, Haut an Haut, das Pochen in seinen Lenden …
Gewappnet gegen Enttäuschung, Ablehnung und jede Art von Schmerz, räusperte er sich und suchte nach den richtigen Worten, um endlich Klarheit zu erlangen.
„Lys?“
„Hm?“ Schlaftrunken fuhr Lys zusammen, stöhnte dann leise – diese Regung war offenbar nicht gut für ihn gewesen.
„Ich …“ Lamár verfluchte sich. Wie stellte man eine solche Frage, ohne das Gesicht zu verlieren und sein Gegenüber zu verletzen?
„Was waren wir früher füreinander?“, presste er schließlich heraus. Lys rührte sich langsam, sein Herz begann wie rasend zu schlagen, deutlich fühlbar gegen Lamárs Brust; doch er antwortete nicht.
„Du wurdest nicht mit mir zusammen gefangen genommen, oder? Wurdest du früher geholt? Sind wir Brüder?“ Dieser Gedanke war Lamár spontan gekommen und er entsetzte ihn. Sollte er etwa so für seinen eigenen Bruder empfinden?
„Nein.“ Lys drückte sein Gesicht gegen Lamárs Schulter, heftig atmend. Lamár schwankte zwischen Erleichterung und Sorge – sollte er weiter auf ihn eindringen, wenn es so peinigend für sie beide war? Doch er wollte, er musste es einfach wissen!
„Ich bin freiwillig nach Irtrawitt gegangen, um dich zu finden“, flüsterte Lys. „Dann wurde ich gefangen genommen und zum Palast des Layns …“ Er brach ab. Lamár erschauderte – war es also indirekt seine Schuld, was auch immer man diesem Mann angetan hatte?
„Lys, ich habe Angst, das letzte Bisschen meines Verstandes zu verlieren. Ich scheine wichtig für dich zu sein. Dich zu berühren weckt Dinge in mir, die ich nicht benennen kann. Aber die Bilder, die dabei vor meinen Augen stehen, sprechen von Gewalt. Ich sehe mich selbst, wie ich auf dich einprügle, bis du die Besinnung verlierst. Ich sehe mich, wie ich dich von hinten niederschlage und einer Gruppe bewaffneter Soldaten ausliefere. Ich sehe mich Dinge tun, die mich wünschen lassen, dass meine Erinnerungen niemals zurückkehren mögen, denn ein solches Monster will ich einfach nicht sein!“
Lys krampfte sich zusammen, ein Schluchzen unterdrückend. Lamár umarmte ihn noch fester, verzweifelt vor Angst vor dem, was dies alles bedeuten konnte.
„Bitte sprich mit mir! Ich muss wissen, was wir früher füreinander waren. Ob ich dir wirklich angetan habe, was ich in meinen Träumen sehe.“
Nach Atem ringend griff Lys nach hinten und zog Lamárs Arme von sich. Langsam rutschte er von ihm herab, bis er seitlich neben ihm lag.
„Gib mir deine Hand“, bat er und ergriff Lamárs Rechte, drehte sie behutsam; dann drückte er seinen Unterarm gegen Lamárs Fingerspitzen, die knapp über den Verband hinausragten.
„Spürst du die Narben?“, fragte er leise.
„Ja.“ Lamár fühlte sie deutlich. Breite, lang gezogene Unebenheiten an Lys’ Handgelenken und Unterarmen. Sein Magen krampfte sich zusammen – er hatte die Wunden gesehen, aus denen diese Narben entstanden sein
Weitere Kostenlose Bücher