Die Saat der Finsternis (German Edition)
aufgelöst. Seit er in Kirians Armen hatte weinen und einschlafen dürfen, war sie verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. All die Zweifel, die ihn hatten zögern und verzagen lassen, ihn hinderten energisch nach Kirian zu suchen und zu fliehen, bevor Kumien ihn zerstören konnte – sie waren fort und hatten das grauenhafte Nichts, in dem er umhergeirrt war und das ihn schließlich sogar dazu getrieben hatte, den Tod zu suchen, einfach mitgenommen. Helfen würde es allerdings nicht, denn sie würden beide hier unten sterben. Er hatte keine Kraft mehr und war einfach nur froh, Kirian an seiner Seite zu wissen.
„Lys?“ Er fuhr zusammen, als Kirian nach ihm tastete. Hatte er zwischendurch das Bewusstsein verloren? „Alles in Ordnung?“
„Hmmm.“ Lys seufzte müde.
„Komm her, du zitterst ja vor Kälte.“ Kirian zog ihn an sich, obwohl Lys weder die Kälte noch das Zittern bewusst waren. Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte ihm zu, dass dies ein schlechtes Zeichen sein musste, genauso wie die Tatsache, dass es ihm völlig egal war. Auch diese Stimme war ihm gleichgültig …
Kirian verfluchte sich selbst, während er den schlafenden – oder bewusstlosen? – Mann höher zog, bis er ihn halten und wärmen konnte, ohne es dabei allzu unbequem zu haben. Er hätte Lys schon viel früher zwingen sollen, eine Pause zu machen, es war deutlich zu hören gewesen, dass es ihm nicht gut ging. Für alle wenn und hätte doch war es jetzt zu spät, Kirian konnte nur hoffen, dass Lys nicht krank war, oder seine Kopfverletzung schlimmer, als es zuerst ausgesehen hatte.
Wenn er wach wird, reden wir, bis mir der Schädel platzt. Wer weiß, wie viel Zeit uns noch bleibt!
Eine Erinnerung kam hoch, diesmal kein Bild von Gewalt und Blut.
Ein Schlafraum. Lys liegt mit ihm im Bett, kuschelt sich nackt in seine Arme. Er lächelt traurig und flüstert: „Du musst gehen, bitte, ich will nicht, dass dich jemand findet.“
Eine schöne Erinnerung. Er verlor das Bild, aber er wusste, was er damals geantwortet hatte. Kirian streichelte versonnen über Lys’ Wangen und wisperte in die Dunkelheit:
„Niemand wird mich finden. Ich bleibe, Lys. Die ganze Nacht. Ich will hier an deiner Seite schlafen und aufwachen.“
Was das wohl zu bedeuten hatte? Wer hätte ihn suchen sollen? Warum war ihre Liebe verboten gewesen?
Er schloss die Augen. Nur einen Moment lang ausruhen, er brauchte doch Kraft, um weiter an den Steinen zu arbeiten.
Als er fast eingeschlafen war, ließ ein seltsames Geräusch ihn aufhorchen. Ein Kratzen, ein Rascheln … Ratten? Das wäre ein gutes Zeichen. Ratten lebten für gewöhnlich nicht so tief unten im Gestein. Selbst wenn eine ihrer Käfigratten entwischte, suchte sie ihr Glück nicht in der Tiefe. Zumindest hatte Arkin das behauptet. Wenn er jetzt also eine Ratte hörte, musste es irgendwo …
Zu laut!, dachte er plötzlich. Das Kratzen und Schaben war zu laut. Und da, ein Poltern … Behutsam legte er Lys zu Boden und tastete sich zu dem Geröllhaufen vor. „Sie kommen!“, flüsterte er. Erleichterung durchflutete ihn wie heller Sonnenschein. Kirian griff tastend nach der Hacke und schlug damit dreimal auf den Boden.
„HIER!“, brüllte er, „WIR SIND HIER!“ Dann presste er sich gegen das Gestein und lauschte. Das Kratzen und Schaben war verstummt. Als er schon fast die Hoffnung aufgeben wollte, hörte er fernes Klopfen. Dreimal. Stille. Und noch dreimal.
Sie hatten ihn gehört, und sie waren nicht mehr fern.
„Beeilt euch!“, murmelte er, wiederholte das Klopfzeichen und begann, Steine abzutragen, bis er nicht mehr die Kraft hatte, den Weg zu dem Haufen zu taumeln, den sie mit ihrem Geröll am Tunnelende aufgeschüttet hatten. „Beeilt euch!“, flüsterte er noch einmal und tastete sich danach zu Lys vor. Der hatte sich augenscheinlich die ganze Zeit über nicht gerührt, trotz des Lärms. Besorgt zog Kirian ihn wieder an sich, damit sie sich gegenseitig wärmen konnten.
„Was …?“ Lys wehrte sich schwach, sank aber zurück in den Schlaf.
„Halte durch. Arkin ist auf dem Weg.“ Kirian küsste Lys’ Stirn, ohne nachzudenken.
„Beeilt euch!“, flehte er ein letztes Mal.
*
Mit zusammengebissenen Zähnen schob Lys den Gesteinsbrocken vor sich her. So müde … Das Ding war groß und schwer, er musste sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen stemmen, um es überhaupt bewegen zu können. Kirian schlief noch, während Lys bereits wieder erschöpft war. Wie
Weitere Kostenlose Bücher