Die Saat der Finsternis (German Edition)
Gefährten, fühlte den fremden Herzschlag an seinen Rippen. Er sammelte all seinen Mut für das, was er jetzt tun musste. Wenn die Bilder der Gewalt der Wahrheit entsprachen, dann musste einfach noch mehr da sein. Entschlossen begann er zu suchen, nach tief verborgenen Erinnerungen. Den Schmerz ignorierte er, diesmal würde er sich nicht aufhalten lassen! Lamár zwang sich, nur an Lys’ Gesicht zu denken. Sich vorzustellen, wie es aussehen mochte, wenn er lächelte. Das Gefühl, ihn zu berühren, den Duft seiner Haut nahm er dabei als Wurfhaken, mit denen er versuchte, diese Mauer in seinem Kopf zu bezwingen. Als er bereits mit aller Kraft mit den Zähnen knirschte, um nicht laut zu schreien, flackerte etwas vor seinem inneren Auge auf. Lys, gefesselt, am Boden kniend. Neben ihm ein muskulöser blonder Mann, der Lys ähnelte und voller Zorn etwas schrie. Lys hingegen blickte ruhig, forschend zu Lamár hoch.
Lamár klammerte sich an diese Erinnerung, doch sie entglitt ihm, sank zurück in das namenlose Vergessen. Er zischte vor Enttäuschung und dem beißenden Schmerz in seinem Kopf. Suchen, er musste suchen! Das leise Klingen in seinen Ohren steigerte sich zu einem alles betäubenden Dröhnen – es war ihm egal. Eine Flut zusammenhangloser Bilder rauschte durch sein Bewusstsein. Gesichter verschiedener Menschen, mit denen er verwirrende, teils widersprüchliche Empfindungen verband. Er hörte einen Mann lachen, es war ein fröhlicher warmer Laut. Und dann sah er, was er gesucht hatte: Lys, unmittelbar vor ihm, mit strahlenden Augen.
„Kirian, du machst mich wahnsinnig.“ Lys lachte, sie lachten beide gemeinsam, bevor sie in einem innigen Kuss versanken und sich zu lieben begannen.
Lamár hielt diese Erinnerung, solange er konnte, durchlebte den Widerhall der Erregung, des Vertrauens, der tiefen Liebe, die sie damals geteilt hatten. Er schrie unterdrückt vor Schmerz und Enttäuschung, als auch dieses Bild davon glitt und sich nicht zurückrufen ließ – nur das Wissen um die Empfindungen blieb. Er war am Ende seiner Kraft, sein Kopf ein Inferno flammenden Schmerzes. Keuchend zwang er sich, aufzugeben und alle Erinnerungen ruhen zu lassen. Es dauerte lange, bis er wieder gleichmäßig atmen konnte, aufhörte zu zittern, das Hämmern in seinem Schädel nachließ, das Dröhnen seiner Ohren verstummte. Er war in kaltem Schweiß gebadet und fühlte sich so elendig erschöpft, dass er hätte weinen können. Überrascht zuckte er zusammen, als er etwas Feuchtes auf den Lippen schmeckte und tastete über sein Gesicht: Seine Nase blutete heftig. Erst jetzt dämmerte ihm, dass er sich in echte Gefahr begeben hatte mit seiner Suche nach der Vergangenheit; es hätte ihn das Leben kosten können. Lamár erschauderte und schlang die Arme um Lys, der zum Glück fest schlief. Der Preis war hoch gewesen, doch es hatte sich gelohnt. Jetzt wusste er, dass er die Liebe dieses Mannes erwidert hatte. Dass er sie noch immer erwiderte. Dass er darum kämpfen würde, sich dieser Liebe würdig zu erweisen, bis zum letzten Atemzug. Und dass sein Name wahrhaftig Kirian lautete. Mit diesem Wissen schlief er ein, und keine finsteren Träume störten seine Ruhe.
5.
„Ich kann nicht mehr.“ Lys fand sich am Boden wieder, ohne zu wissen, wann er zusammengesunken war. Hunger und Erschöpfung hatten seine letzte Kraft verbrannt, dazu jeden Willen, sich noch weiter zu quälen. Seine Hände waren völlig taub, er konnte sie nicht mehr dazu bringen, noch mehr Steine zu bewegen. Eine Ewigkeit schienen Kirian und er schon hier unten zu sein, wühlten sich schweigend Schulter an Schulter durch das Geröll, schliefen ebenso schweigend Arm in Arm, bis sie weiterarbeiten konnten. Er hatte versucht, mit Kirian über das zu sprechen, was mit ihnen beiden geschehen war, ihm etwas von der Vergangenheit zu erzählen, doch der hatte sich vehement gewehrt, mit offensichtlichen Schmerzen und diesen furchterregenden Krampfanfällen. Also hatten sie nur gelegentlich über Dinge wie Wasser, Schlaf und die Wahrscheinlichkeit, dass jemand sie finden würde gesprochen.
„Ruh dich aus, ich mach noch ein wenig weiter.“ Kirians Stimme, seine Bewegungen, die Berührungen, all das war wie ein Band, das Lys an die Wirklichkeit fesselte. Andernfalls hätte er diese absolute Dunkelheit ohne Aussicht auf Rettung schon lange nicht mehr ertragen. Obwohl – die innere Finsternis, die ihn niedergedrückt hatte, seit er nach Irtrawitt gekommen war, sie hatte sich
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