Die Saat der Finsternis (German Edition)
so verlockend … Doch egal, was er sich einzureden versuchte, er wusste, Lys würde nicht glücklich davongehen und zufrieden sein, ihn hier in Sicherheit zu wissen. Und wer gab ihm die Garantie, dass er allem ausweichen konnte, was ihn an die Vergangenheit erinnerte?
Es war angenehm, hier zu liegen und Lys beim Schlafen zuzusehen. Kirian ließ sich treiben, bis ihn ein leises Klopfen an der Tür hochschreckte. Der Priester, den Lys bereits gekannt hatte – Lark – trat ein. Er errötete verlegen, als er sah, dass Kirian sich im falschen Bett befand, trat dann aber zögernd ein.
„Dürfte ich …?“, fragte er. Lys, der sich gestört zu fühlen schien, schnaufte leise im Schlaf, und drehte sich auf die Seite, so, dass er sich noch enger an Kirian herandrückte.
„Schwer zu entscheiden“, erwiderte Kirian grinsend, was Lark noch tiefer erröten ließ, obwohl er sich nun zu einem neutralen Gesichtsausdruck zwang.
„Entscheiden ist das rechte Stichwort“, begann er, doch Kirian winkte ab.
„Ich habe mich entschieden. Ich will das Ritual versuchen.“
„In diesem Fall haben mich die Tempelvorsteher ersucht, Euch sofort mitzunehmen. Die Herrin Nayamé sagte, je schwächer Ihr körperlich seid, desto leichter wird es, durch Euren geistigen Widerstand zu brechen.“
„Das klingt ziemlich gewaltsam“, murmelte Lys schläfrig. „Ich komme mit!“, beharrte er, noch bevor jemand etwas sagen konnte.
„Es wird ein grausamer Anblick, junger Herr. Euer Gefährte wird starke Schmerzen leiden, vermutlich schreien …“
„Er leidet, seit ich ihn wiedergefunden habe an grausamen Schmerzen, und lange davor auch schon. Seine Schreie verfolgen mich bereits in meinen Träumen, Lark. Wenn er von diesem Fluch nun endlich befreit wird, will ich dabei sein.“
Kirian lächelte unwillkürlich, als er die finstere Entschlossenheit in Lys’ Gesicht sah.
„Ich wäre froh, dich dabei zu haben“, flüsterte er, ließ nur allzu gerne zu, dass Lys ihn an sich zog. Er presste seinen Kopf seitlich an Lys Schulter, genoss es, wie er von ihm gehalten wurde, schlanke Finger durch sein Haar glitten und ihn tröstend streichelten.
„Sieh“, hörte er Lark wispern. „Sieh es dir an, damit du wahre Liebe erblicken darfst.“ Er wusste nicht, mit wem Lark da tuschelte, und es war ihm auch gleichgültig. Die Angst vor dem, was ihn erwartete, war groß. Die Angst, dass es ihn von Lys trennen könnte, statt sie wahrhaftig zu vereinen, war noch viel größer.
„Lass uns gehen“, sagte er schließlich und löste sich widerstrebend aus der Umarmung. „Es wird nicht besser, wenn wir warten.“
Lark und ein weiterer Priester kamen, um ihnen zu helfen. Sie legten ihm und Lys wärmende Umhänge über die Schultern und stützten sie beim Laufen.
„Sollte ich jemals so alt werden, wie ich mich gerade fühle, darf man mich notschlachten“, brummte Lys, als er sich im Gang vor der Tür atemlos an die Wand lehnen musste.
„Ihr müsst Geduld mit Euch selbst haben, Herr. Es ist noch keine zwei Tage her, dass Ihr zu Tode erschöpft zusammengebrochen seid, und Ihr habt lange stillgelegen“, erwiderte Lark mit jener stoischen Ruhe, die wohl den meisten Priestern zueigen war.
„Ich fürchte, ich bin noch nicht alt und weise genug, um Euren Rat zu beherzigen“, versetzte Lys düster. „Obwohl ich weiß, dass Ihr recht habt.“ Er biss die Zähne zusammen und quälte sich eine Treppe hoch, bei jedem Schritt leise auf sich selbst und seine Schwäche schimpfend. Es lenkte Kirian ein wenig von seinem eigenen Elend ab – seiner körperlichen Schwäche, seiner Angst und den nagenden Zweifeln, ob er wirklich richtig entschieden hatte.
*
„Trinkt dies.“ Onjerro reichte Kirian einen Kelch, in dem sich eine dunkle, geruchslose Flüssigkeit befand. „Es wird Euch bei Bewusstsein halten, auch, wenn dies keine Gnade ist.“
„Ist mir egal.“ Kirian seufzte und leerte den Kelch in einem einzigen langen Schluck. „Ich habe schon Schmerzen, wenn ich nur Eure Robe anblicke. Die Aussicht, dass ich mich jetzt noch einmal zusammennehmen muss, und dann ist dieses ewige Leid vorbei, klingt wie das Himmelreich.“
Er wehrte sich nicht, als er sich auf einer Art steinernen Altar niederlegen musste, der sich im oberen Teil des Tempels befand, direkt unterhalb der Kuppel. Sogar als er an Händen und Füßen gebunden, selbst sein Kopf fixiert wurde, blieb er still, obwohl die Angst, die sich in ihm auf die Lauer gelegt hatte, nun wieder wie
Weitere Kostenlose Bücher