Die Saat der Finsternis (German Edition)
Verzagtheit, der ihn umhüllt hatte, wenig zu spüren gewesen.
„Ihr versteht es nun, wie ich sehe“, sagte Onjerro. „Ja, Ihr konntet die Dunkelheit hinter Euch lassen – bis Ihr freiwillig in sie zurückgekehrt seid.“
Wieder fiel ihm Nayamé ins Wort: „Wohlgemerkt, wir stützen uns auf Legenden und Lieder. Trotzdem wusste ich, dass Ihr dem Drachen erneut begegnet sein müsst, denn was ich in Euch spüre, ist die Saat des Misstrauens. Während die Zweifel ins Innere des Opfers gerichtet sind und ihn selbst betreffen, geht das Misstrauen nach außen und umfasst alle anderen Menschen. Nur wenige sollen der Legende nach eine zweite Begegnung mit dem Drachen er- und überlebt haben. In diesen erweckte er das Misstrauen, das ebenfalls in uns Menschen liegt. Ich sehe, wie Ihr Euch von uns belogen fühlt, obwohl jedes Wort wahr ist. Wie Ihr gegen Zorn ankämpfen müsst, der nicht zu Eurem wahren Wesen gehört.“
Lys schloss die Augen und horchte in sich hinein. Was war wahrscheinlicher: Dass die Priester ihn mit mystischen Geschichten verwirren wollten, oder dass es wirklich so sein musste, wie die beiden es behaupteten?
Sie haben nichts zu gewinnen, wenn sie mich mit Unsinn umgarnen. Wenn sie auf Maruvs Seite stünden, hätten sie Kirian und mich sterben lassen oder irgendwo eingesperrt, bis sie uns ausliefern können.
Er merkte auf, als Nayamé das Wort nun an Kirian richtete:
„Verzagtheit und Zweifel ist etwas, was Ihr in Eurer Vergangenheit kaum gekannt habt, falls überhaupt. Der Verlust Eurer Erinnerung hat Euch verändert, aber …“
„Ich weiß“, murmelte Kirian. „Schon als ich dem Drachen noch nicht begegnet war, ihn aber bereits spüren konnte, hat es begonnen. Ihr müsst mich nicht überzeugen.“
Lys schlug absichtlich den Hinterkopf gegen den hölzernen Bettrahmen, als Ablenkung, um nicht erneut gegen sinnlose Wut ankämpfen zu müssen. Alle fuhren zu ihm herum, doch er war zu aufgebracht, um sich für seine Unbeherrschtheit zu schämen.
„Was können wir dagegen tun?“, fragte er fordernd. „Ich bin nicht durch die Hölle gegangen, um Kirian zuzusehen, wie er an Zweifeln erstickt! Und ich weigere mich ganz einfach, von Misstrauen überwältigt zu werden, bis ich einsam und von Wahn zerrüttet meinem Elend ein Ende bereite! Was sagen sie dazu, Eure Lieder und Legenden?“
„Es gibt nichts …“, begann Onjerro, wurde allerdings einmal mehr von Nayamé unterbrochen.
„Es gibt einen Vers, der von einer Legende berichtet, die bereits fast vergessen war, als dieses Lied gedichtet wurde – was nun auch schon viele Hundert Jahre her ist. Da wird behauptet, dass die Drachen zurückkehren, wenn sie sich herausgefordert fühlen. Was das bedeutet, weiß niemand. Es könnte Hoffnung für Euch bedeuten, denn Ihr habt die Schattensaat einmal vernichten können. Ich habe die vergangene Nacht in allen Schriftrollen gesucht. Mehr gibt es nicht.“
Lys schnaubte verächtlich.
„Warum habt ihr uns nicht einfach sterben lassen?“, fragte er dann. „Wäre das nicht gnädiger gewesen?“
„Möglich“, erwiderte Onjerro gedehnt. „Doch Ihr, junger Fürst, habt nach wie vor eine Aufgabe zu erfüllen. Ihr seid klug genug, um gegen das Misstrauen in Euch ankämpfen zu können, denn vergesst nicht, der Drache hat lediglich angefacht, was schon in Euch war. Euer Heilmittel lautet Vertrauen, wozu Ihr nach wie vor fähig seid. So wie das Heilmittel Eures Gefährten Gewissheit ist.“
„Womit wir einen neuen Punkt erreichen. Ihr Priester habt etwas mit dem Fluch zu tun, der Kirian von seinen Erinnerungen trennt, nicht wahr? Was ist mit dem Amulett? Ist es hier angekommen?“
Nayamé seufzte tief.
„Ich kann den Erinnerungsbann von ihm nehmen, Lyskir von Corlin. Aber Ihr müsst wissen, dass dies nicht unbedingt den Mann zurückbringt, den Ihr kennt“, sagte die Priesterin leise. Mitleid spiegelte sich in ihrem Gesicht, was für ihn noch schlimmer war als das ausdruckslose Gesicht von Onjerro neben ihr. Es fühlte sich an, als wäre die Stollendecke der Mine nun doch über ihm zusammengebrochen.
„Was genau meint ihr damit? Bitte, erklärt es mir so, dass ich es verstehen kann“, bat er mit brüchiger Stimme. Ein flüchtiger Blick in Kirians weit aufgerissene Augen zeigte, dass all dies für ihn genauso beängstigend war wie für Lys.
„Um sowohl diesen Mann, der als Stefár von Lichterfels geboren wurde, als auch Euch, der Ihr der Thronfolger seid, und den Frieden des gesamten Reiches
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