Die Saat Der Makellosen
sie ihr lächelnd in die Augen sah, die weit kindlicher als ihre eigenen dreinblicken konnten. Das sollte in keinem Fall verloren gehen. Sie wollte, dass ihre kleine Schwester diesen warmen Blick behielt und würde dafür einiges in Kauf nehmen.
10. Die Nacht der Übergänge
Freitag, 29. Juni; Einen Tag vor der Noctis Transitus
Die neuen Länder waren von den alteingesessenen Familien aus Europa besiedelt worden. Zu dieser Zeit waren auch einige neue Devenas berufen worden, die zum Teil Breeds der zweiten Generation gewesen waren. Allerdings war es danach nicht mehr vorgekommen, weil neue Häuser nur von besonders gesegneten Immaculates begründet werden durften.
Das Orakel hatte über die Jahrhunderte in vielen Teilen der Welt ihren Segen erteilt, wenn sie in ihren Weissagungen Hinweise auf mögliche neue Devenas erhalten hatte. Es war etwas ganz Besonderes, dieses Ritual nun wieder im eigenen Haus abhalten zu dürfen, weil eine der Frauen sogar aus dem Hause Harpia abstammte.
Seit Theron die Nachricht überbracht hatte, dass Catalina Tate ihre Umwandlung akzeptiert und gemeistert hatte, waren im Schloss der Harpias Vorbereitungen für ein weiteres großes Fest getroffen worden, zu dem noch mehr Mitglieder der Familien eingeladen worden waren. Es würden Vertreter aus ganz Amerika kommen und einige Besucher aus Europa wurden ebenfalls erwartet, da das Orakel sie nicht einfach von den Entwicklungen ausschließen konnte.
Der weisen Dame war klar gewesen, dass eine furchtlose Kriegerin sich nicht lange in diesem Punkt zurückhalten würde, wenn sie erst einmal davon überzeugt war, dass niemand ihr ihre Vergangenheit vorhalten würde. Sie hatte sehr weise aus den Reihen der Krieger gewählt, selbst wenn sie die Entscheidung rein instinktiv getroffen hatte. Jagannatha, der Unbezwingbare, von einer Frau innerhalb von Sekunden erobert. Diese Vorstellung gefiel dem Orakel. Das Schicksal ging manchmal seltsame Wege… Große Umwege, um dann umso heftiger zuzuschlagen.
Es gab für beide noch einige Klippen zu umschiffen. Natürlich könnte sie es Catalina leichter machen, indem sie einige Dinge sagte, die der jungen Frau bisher noch nicht klar waren, aber es gehörte zu ihrer Entwicklung dazu, dass sie ihre Prüfungen allein bestehen musste. Sie hatte immerhin den Vorteil, dass sie sich in der Welt der Immaculates auskannte, auch wenn sie eher Erfahrungen in der harten Männerwelt gemacht hatte, was auch kein Nachteil war. Sie würde sich niemals von dem anderen Geschlecht unterdrücken lassen und die ihr unterstellten Frauen und später Familien auf das Beste vertreten. Und etwas frischen Wind bringen, damit der Rat nicht einstaubte… Es war nicht gut, wenn er nur aus Mitgliedern bestand, die lediglich die Sonnenseiten ihres Lebens kannten. Um weise Entscheidungen treffen zu können, musste man eben auch manchmal harte Erfahrungen gesammelt haben, die den eigenen Blickwinkel erweiterten.
Romana Kiss dagegen … Das Orakel wanderte in Gedanken versunken durch den prächtigen Garten, der in voller Blüte stand und in dem die Vögel in den Baumkronen zwitscherten. Dieses Mädchen war mehr als verloren. Ohne jegliches Wissen über ihr wichtiges Erbe. Eine Einzelkämpferin, die zwar genau wie Catalina vernachlässigt worden war, aber sich bisher stets als völlig normaler Mensch wahrgenommen hatte. Sie hatte niemals Kontakt mit der übersinnlichen Welt gehabt, wenn man von ihren Fähigkeiten absah, die sie als große Last empfunden hatte, wo Catalina sie zum Überleben eingesetzt hatte und sie als Geschenk wahrnahm.
„Lilith! Willkommen in meinem Haus! Ich habe nicht so früh mit deinem Erscheinen gerechnet!“, begrüßte das Orakel sein Kindeskind. In direkter Linie hochgerechnet war sie ihre mehrmalige Enkelin.
Die Devena des Hauses Harpia faltete die Hände wie zum Gebet und hob sie vor das Gesicht, um eine leichte Verbeugung anzudeuten, bevor sie von der höher gestellten Dame umarmt und auf beide Wangen geküsst wurde.
„Ich verspürte eine leichte Besorgnis und wollte meine Unterstützung bei der Vorbereitung der Novizen anbieten, ehrenwerte Salama!“
Das Orakel schenkte ihr ein feines Lächeln, weil ihr klar war, dass die erwähnte Fürsorge besonders ihren Söhnen galt. Eine Mutter konnte eben nicht anders, als sich für ihre Kinder Erfüllung und Glück zu wünschen. Der Weg der Krieger war immer etwas steinig, wenn sie der Frau fürs Leben begegneten, weil da meist zwei Welten aufeinander
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