Die Saat - Ray, F: Saat
mit diesem Kretin da!« Sie tritt auf die Bremse, der Sicherheitsgurt strafft sich.
»He, warum bremsen Sie?« Keine rote Ampel in Sicht, und sie hat seine Frage ignoriert. Dann bemerkt er, dass sie in eine Seitenstraße abgebogen sind.
Sie stellt den Motor ab, dreht sich zu ihm und sieht ihm fest in die Augen. »So lasse ich mich nicht behandeln. Egal, was Sie erlebt haben. Ich habe keine Lust, Ihnen jeden Schnipsel Information aus der Nase ziehen zu müssen, also: Entweder spielen Sie mit offenen Karten und wir sind ein Team, oder«, sie macht eine Bewegung mit dem Kinn hin zu seiner Tür, »Sie steigen aus, und zwar sofort.«
Sie meint es ernst, da muss er nicht lange überlegen. Er wird teilen müssen: Informationen, Gedanken, Pläne … Es sei denn, er will doch allein weitermachen. Vor seinem Blick beginnt wieder der Film abzulaufen: Antonelli, Bohin …
»Falls Sie Bedenken haben wegen meiner Sicherheit«, unterbricht sie seine Gedanken, »das ist nicht Ihr Problem, okay?«
Ist sie wirklich so unerschrocken, oder ist sie nur karrieregeil?
»Was überlegen Sie noch?«, will sie ungeduldig wissen.
»Sie haben die Toten nicht gesehen.«
»Ich habe einen gesehen, ich war sogar dabei, als Sie ihn umgebracht haben. Das reicht schon, oder?«
Er kapituliert. »Gut. Ehrlich gesagt, ich habe nicht die geringste Ahnung, was in diesem Schließfach ist. Sylvies Eltern leben in Marbella, knapp zweihundert Kilometer von Gibraltar entfernt. Sylvie war dort, als ihr Vater gestorben ist, und sie ist dann Anfang des Jahres zur Testamentseröffnung noch einmal hingeflogen.«
»Sie wusste also, was im Schließfach ist?« Sie hat beideHände aufs Lenkrad gelegt und schüttelt den Kopf. »Ich verstehe nicht, dass sie Ihnen nichts gesagt hat, wirklich.«
Bevor er wütend wird, deutet er nach vorn. »Wollten Sie nicht weiterfahren?«
»Wohin?«
»He, haben Sie denn alles vergessen? Wir wollten unsere Informationen austauschen, wir brauchen einen Computer, Internet …«
Widerspruchslos schaltet sie den Motor an und legt den ersten Gang ein.
4
Die erste Portion Spaghetti mit ihrer schnell kreierten Sauce aus Pancetta, Knoblauch, Rosmarin und Petersilienwurzelspänen hat er hungrig in sich hineingeschlungen, für die zweite hat er sich mehr Zeit genommen.
Sie nehmen Schmerztabletten, da müssen Sie was Ordentliches essen, hat sie gesagt, auch wenn er behauptet hat, er hätte keinen Appetit. Und dass er Glück hat, weil sie gerade mal was im Haus hat.
»Ich koche gern«, hat sie noch gesagt und hinzugefügt: »Aber fast nie für mich allein.« Aus einer seltenen Laune heraus war sie am vergangenen Samstag über den Markt auf der Place Maubert geschlendert und hatte eingekauft, wollte sich selbst mal wieder etwas Gutes tun, für sich sorgen sozusagen. Ein Stückchen Pancetta, ein paar Zweige Rosmarin und die welke, aber immer noch schmeckende Petersilienwurzel waren die einzigen Überlebenden im Kühlschrank. Alles andere hat sie vorhin in den Müll werfen müssen.
Allerdings wollte er auch von dem Wein trinken, den sie sich aufgemacht hat. Mit Schmerztabletten sollte man keinen Alkohol trinken, wollte sie gerade sagen, doch er sah sie nurmit einem bestimmten Blick an, und sie wusste, dass er zu den Menschen gehört, die sich nicht an Empfehlungen anderer halten, wenn es ihnen nicht passt.
Als sie ihm gegenüber an ihrem Ess- und Arbeitstisch sitzt, den Duft des Rosmarins in der Nase, den spanischen Crianza noch auf der Zunge, stellt sie sich für einen Moment vor, sie wäre mit ihm befreundet, sie hätte eine Affäre mit ihm – oder mehr. Wie wäre es, mit ihm zu leben? Mit einem Egoisten, einem Eigenbrötler, oder ist er das gar nicht? Hat ihn nur sein Schicksal dazu gemacht? Wäre sie an seiner Stelle nicht auch verschlossen und zurückgezogen? Er schiebt seinen leeren Teller mit dem Besteck zur Seite und sieht ihr in die Augen. Nein, er hat nicht die gleichen Gedanken wie sie, er denkt daran, wie er am schnellsten ans Ziel kommt – am schnellsten den Mörder seiner Frau aufspürt, diese Aamu offenbar, und dafür ist er bereit, jeden – wirklich jeden? – Preis zu zahlen.
So wie du …
»Bleiben Sie sitzen, ich mach das schon«, sagt sie schnell, als er versucht, die Teller zusammenzustellen.
Du wirst schon fürsorglich, hör auf damit.
Camille räumt das Geschirr in die Spülmaschine, setzt sich ihm wieder gegenüber und klappt ihr Notebook auf.
Konzentrier dich, und hör um Gottes willen auf
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