Die Saat - Ray, F: Saat
nicht nur der Produktivitätssteigerung, sondern auch der Entlastung der Umwelt.« Sie sieht auf. »Dreist, so was einfach zu behaupten. Weiter steht hier: In der Forschung beziehungsweise Entwicklung stehen auch Pflanzen, die resistent gegen Dürre sind und die über eine verbesserte Nährstoffzusammensetzung verfügen. Um die Entwicklung einer nachhaltigen und umweltschonenden Landwirtschaft weiter zu fördern, engagiert sich Edenvalley für eine offene Kommunikation mit Landwirten, Forschungseinrichtungen, Nahrungsmittelherstellern und Verbrauchern. Macht dich das nicht wütend, Ethan?«
Er zuckt mit den Schultern. »Warum fragst du mich so etwas? Was willst du hören?«
Sie antwortet nicht.
Beim Anflug auf Genf musste die Maschine eine Nebelschicht durchdringen, und Camille hat dabei nach seiner Hand gegriffen. Wie Sylvie. Sie fürchtete bei jedem Rütteln, abzustürzen. Auch Sylvie hätte wahrscheinlich nach der nächsten Hand gegriffen. Es bedeutete nichts. Gar nichts. Wovor fürchtet er sich? Dass er seine Distanz zu Camille verliert? Dass er damit Sylvie untreu wird? Dass er sein Ziel nicht mehr mit derselben Energie verfolgt?
»Okay, gehen wir rein, die Begrüßungsrede des Direktors von Edenvalley lassen wir uns doch nicht entgehen, oder?« Er will sich keine Gefühle leisten, er muss auf sein Ziel fokussiert bleiben. Er will Sylvies Mörder und diejenigen, die dafür verantwortlich sind. Er will, dass Sylvie nicht umsonst gestorben ist. Sie wollte etwas aufdecken … Selten im Leben ist ihm etwas so klar gewesen wie dies.
Noch zwei Stunden bis zum Logentreffen. Der strahlendhell leuchtende Konferenzraum weckt die Assoziation von Wahrheit, klaren Fakten und nüchterner Weitsicht, denkt Ethan, als er sich durch den Mittelgang zu den ersten Stuhlreihen für die Presse bewegt. Die erwartungsvollen Gesichter all der zweihundert bis dreihundert Teilnehmer, darunter sicher auch viele Aktienbesitzer, erinnern ihn allerdings eher an eine Parteiveranstaltung. Er überlässt Camille den Platz am Mittelgang und nimmt zwischen ihr und einem glatzköpfigen Fotografen Platz.
Ein Mann mit sorgfältig gescheiteltem, vollem dunklem Haar und starkem Kinn steigt unter Applaus auf die Bühne. James Stewart, Direktor von Edenvalley. Hinter dem Rednerpult bleibt er stehen, legt seine Notizen zurecht und sieht dann lächelnd auf. Sofort verstummt der Applaus.
»Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.« Er spricht ein breites Amerikanisch, stellt Ethan fest, und obwohl er einen modern geschnittenen Anzug trägt, wirkt er irgendwie provinziell. Vielleicht ist es die Frisur, vielleicht sind es die zu ausladenden Gesten, vielleicht ist es auch das Beifall heischende Grinsen.
»Als Direktor von Edenvalley heiße ich Sie herzlich willkommen. Wir leben in unsicheren Zeiten. Die Weltbevölkerung wächst, die Umwelt wird bedroht. Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde aufgrund des weltweit anhaltenden Bevölkerungswachstums und stagnierender Ernteerträge eine riesige Hungerkrise prognostiziert. Edenvalley hat diese Herausforderung angenommen und steht inzwischen weltweit an der Spitze, nicht nur was die Entwicklung und Herstellung von umweltverträglichen Pflanzenschutzmitteln angeht. Auch in der Entwicklung und Herstellung von durch moderne Biotechnologie verbessertem Saatgut sind wir Marktführer. Mit unseren dreizehntausend Mitarbeitern in hundert Ländern engagiert sich Edenvalley konsequent, um zu nachhaltigen Lösungen für den weltweit wachsendenBedarf in den Bereichen Landwirtschaft und Ernährung beizutragen. Edenvalley ist sich seiner Verantwortung für die Erde und seine Menschen bewusst und bemüht sich täglich aufs Neue, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Daher haben wir allein im vergangenen Jahr über fünfhundert Millionen US-Dollar in Forschung und Entwicklung investiert.«
Applaus. Und was, verdammt, hatte Sylvie damit zu tun, dass sie sterben musste? Ethan zwingt sich, tief und langsam zu atmen, kämpft gegen seine aufsteigende Wut an.
»Ein erfolgreicher Konzern wie Edenvalley ist immer wieder Anfeindungen und Verleumdungen ausgesetzt«, fährt der Direktor fort, »das liegt in der Natur der Sache. Doch wir lassen uns nicht von unserem Weg abbringen. Gerade haben wir von Misereor eine Auszeichnung für unsere kostenlosen Hilfslieferungen von Mais-Saatgut nach Afghanistan und in den Irak bekommen.«
Tosender Applaus.
Ethan fängt Camilles entsetzten Blick auf.
Vorn am Rednerpult
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