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Die Saat - Ray, F: Saat

Die Saat - Ray, F: Saat

Titel: Die Saat - Ray, F: Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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aus der er immer noch nicht getrunken hat. Dunkelgrau ist der Himmel, als würde es gleich dämmern, dabei ist es erst kurz nach zwei. Ein kalter Wind ist wieder aufgekommen, er weht von irgendwoher einen Duft von frischem Gras heran, und für einen Moment vergisst Ethan, was er überhaupt in der Klinik wollte, doch es bleibt bei einem Moment, dann hat ihn die Wirklichkeit wieder, und er überlegt, was er jetzt tun soll. Nur ein einziger Freund fällt ihm ein. Scott. Aber zu ihm will er nicht. Er will sich nicht schon wieder besaufen.
    »Monsieur Harris?«
    Er dreht sich um, eine Frau, kaum einen Meter sechzig groß, kommt aus der Eingangshalle auf ihn zu. Sein fragender Blick entlockt ihr ein entschuldigendes Lächeln.
    »Pardon, ich bin Aamu.« Sie streckt ihm die Hand entgegen, eine kleine, kalte Hand, er wagt kaum, sie zu drücken.»Ich bin Medizinstudentin und habe auf der Station Ihrer Frau gearbeitet. Gerade habe ich erfahren, dass …« Sie bricht ab. Ihren starken Akzent hat er noch nie gehört. Im neonweißen Licht der Eingangshalle leuchtet ihr Haar kupferrot, ihre Augenfarbe kann er nicht erkennen. Nur hell müssen sie sein. Unter ihrem offenen weißen Kittel trägt sie einen gestrickten Pullover mit riesigem Rollkragen, einen kurzen karierten Rock, eine wollene Strumpfhose und Stiefel. Ein bisschen wie Björk, denkt er, die isländische Sängerin. Er nickt, weiß nicht, was er sagen soll.
    »Ich wollte nur …« Sie zuckt mit den Schultern, unbeholfen, ratlos. Ein Patient im Bademantel kommt hinter ihr aus dem Gebäude und zieht eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche.
    »Haben Sie Feierabend?«, fragt Ethan.
    »Ja …« Sie sieht an sich herunter und zieht den weißen Kittel aus.
    »Wollen Sie …« Er zögert, plötzlich findet er sich zu aufdringlich. Aber er will und kann jetzt nicht allein sein.
    »Ja?« Ein Windstoß fährt ihr ins Gesicht, sodass sie die Augenlider kurz schließt, eine Kindfrau, die im kalten Wind friert. Was soll das, Ethan? Das ist keiner deiner verfluchten Romane!
    »Wenn Sie wollen, kann ich Sie im Taxi mitnehmen.«
    »Ich nehme immer die Métro …«
    »Es macht mir keine Umstände. Im Gegenteil, Sie würden mir …«, er zögert, sucht nach dem richtigen Wort, »… einen Gefallen tun.«
    Sie mustert ihn, als würde sie prüfen, ob sie ihm trauen kann.
    Er ist erleichtert, dass sie mitkommt. Sie kannte Sylvie! Vielleicht kann sie ihm erklären, was mit Sylvie geschehen ist? Vor ihnen am Haupteingang warten fünf Taxen, Ethan hält ihr die Autotür auf, er steigt auf der anderen Seite ein. Ein Trost, jemanden gefunden zu haben, der Sylvie gekannt hat, jemanden, der ihm vielleicht die Wahrheit sagen kann. Der Wagenbiegt auf die Avenue Claude Vellefaux ein. Im Außenrückspiegel sieht Ethan die Gebäude kleiner werden. Abschied. Für immer.
    Aamu neben ihm sieht aus dem Fenster. Schweigt, wartet, dass er anfängt.
    »Woher kommen Sie … Ihr Akzent … und Ihr Name … Skandinavien, Island?«
    Sie lächelt ein bisschen. Ihre Eckzähne stehen leicht schief über die Vorderzähne, ihre Augen werden ganz schmal, wie Katzenaugen, ihre Nase ist klein und spitz.
    »Finnland.«
    Da wollte er mit Sylvie früher hin, es hat nie gepasst.
    »Ihre Sprache ist mit keiner anderen europäischen Sprache verwandt, das ist das, was mir immer zuerst zu Finnland einfällt. Und die Landschaft, Schnee, Seen …« Was für ein Zeug redet er da?
    »Einsam, oft dunkel. Die Menschen trinken.« Ihr Lächeln ist verschwunden.
    »Sind Sie deshalb von dort weg, weil es zu einsam ist?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Nein, nicht deshalb.« Lichtstreifen von draußen kriechen über ihr blasses Gesicht. Scheinwerfer, Lichtreklamen, Ampeln. Wie eine Kriegsbemalung. Er wartet, dass sie ihm mehr erzählt, aber sie sieht nur zum Seitenfenster hinaus.
    »Wie lange waren Sie verheiratet?«, fragt sie auf einmal und betrachtet ihn, als würde sie in seinem Gesicht nach dem Grad seiner Schuld forschen.
    »Acht Jahre.« Beinahe hätte er noch hinzugefügt, dass er seine erste Frau wegen Sylvie verlassen hat und dass die letzte Zeit sehr schwierig war und – ach, viel zu viel hätte er auf die vielleicht nur höflich gestellte Frage geantwortet.
    »Dass sie so verzweifelt war …«, sagt sie kopfschüttelnd.
    Wer wusste überhaupt, wie verzweifelt Sylvie war? Hat sie sich nur ihm anvertraut? Dem Besitzer der Lederhandschuhe?
    »Kannten Sie auch Sylvies Kollegen, Dr. Robert Smith?«, fragt er lauernd. Er muss ihrem Blick

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