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Die Saat - Ray, F: Saat

Die Saat - Ray, F: Saat

Titel: Die Saat - Ray, F: Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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ist.
    »Was machst du hier?« Seine Sprache ist noch schleppender geworden, eine leichte Lähmung hat auch die Zunge und die Sprechmuskeln erfasst. Schon spürt sie, wie die Wut in ihr hochsteigt. »Freust du dich nicht über meinen Besuch?«
    »Doch. Ich vermisse nur …«
    »Wen?«
    »Deine Mutter.«
    Da ist er schon wieder, der Stich ins Herz. Warum tut er das? Sei nicht so empfindlich, Camille!
    »Ich konnte nicht früher.« Sie zieht sich einen Stuhl ans Bett, setzt sich und nimmt seine Hand. Sie fühlt sich kalt an. »Frierst du?« Dabei ist es im Raum angenehm warm. Dann fällt ihr ein, dass dies die vom Schlaganfall beeinträchtigte Seite ist.
    »Nein, warum? Heizen Sie hier nicht?«, fragt er schleppend.
    »Doch, doch, ich dachte nur, weil deine Hand kalt ist, aber dann ist mir eingefallen, dass …«
    »Wenn das alles ist.« Ein schiefes Grinsen.
    Sie hat Dr. Ogilvy nicht gefragt, ob er ihrem Vater gesagt hat, dass er Parkinson hat.
    »War Dr. Ogilvy bei dir, hat er mit dir gesprochen, dir alles erklärt?«
    »Dieser Kerl mit der Hautfarbe eines Leberkranken?« Noch ein schiefes Grinsen. »Ja, ja, der war da.« Er schluckt und hustet, sie sieht auf dem Nachttisch ein Päckchen Papiertaschentücher liegen. Er winkt ab, als sie es ihm reichen will. Seine Hand zittert dabei. Sie hat es früher einfach nicht beachtet, hat gedacht, er ist ein bisschen nervös.
    »Ich sag dir was«, er hustet wieder, »sie haben eine neueVersicherung bei uns eingeführt.« Sie versteht ihn schlecht. Bei uns, sagt er noch immer, obwohl er schon vor mehr als zehn Jahren nicht mehr bei der Versicherung AGF arbeitet.
    »Capital Mémoire. Sie tritt in Kraft, wenn man Demenz und Alzheimer bekommt. Warum ist mir dieses Programm nicht eingefallen, was?« Er lacht. »Da hatte ich es schon, oder? Deshalb ist es mir nicht eingefallen. Und keiner hat’s gemerkt. Vielleicht hast du es auch schon. Oder dieser Arzt da.«
    Camille seufzt. Sein Zynismus. Damit ist nur Valéria zurechtgekommen. Weil sie genauso zynisch sein kann.
    »Aber das ist doch Unsinn, Papa.« Sie rutscht näher und streichelt seine Hand. »Sehen wir mal den Tatsachen ins Auge. Du hast die Symptome von Parkinson, das kann man nicht heilen. Aber es gibt Medikamente, damit alles nicht so schlimm wird.« Wie hört sie sich an? Als würde sie mit einem Kind reden.
    »Ach, Camille.«
    Niedergeschlagene Stimmung. Wächsernes Gesicht. Zunehmende Bewegungseinschränkung. Zittern.
    »Ich wünschte, es hätte mich gleich richtig erwischt.« Seine Stimme wird weinerlich. Tränen treten ihm in die Augen.
    »Aber Papa!« Sie klingt wie ein Papagei, der nur diese beiden Wörter beherrscht.
    Er schüttelt den Kopf, die Tränen sind wie weggewischt, er versucht, sich aufzurichten, was ihm aber nicht gelingt, so lässt er sich wieder zurückfallen.
    »Ich hab mir Folgendes überlegt: Du ziehst zu mir. Die Wohnung ist ja weiß Gott groß genug. Du kannst tun und lassen, was du willst, und nebenbei siehst du nach deinem alten Vater. Keine Miete natürlich.«
    »Papa, ich …« Wie soll ich ihm sagen, dass ich nicht mit achtzehn ausgezogen bin, um mit einunddreißig wieder einzuziehen? Sie holt Luft. »Wir werden eine Lösung finden, mach dir keine Sorgen.«
    »Jeder muss mal sterben. Vielleicht sollte ich es auch einfach beschleunigen, was meinst du?« Wieder dieses schiefe Grinsen.
    »Hör damit auf. Ich telefoniere mit Valéria, sie wird kommen.«
    Er starrt plötzlich zur Decke. »In Valéria hab ich mich getäuscht.«
    »Wie …«
    »Das weißt du auch«, fällt er ihr ins Wort. »Das Leben, ein einziger Irrtum.«
    »Papa, so was …«
    Seine Hand hebt sich und fällt wieder zurück auf die Bettdecke. Camille verstummt. Er war noch nie ein guter Zuhörer.
    »Seit deine Mutter nicht mehr lebt … Geh nach Hause, du hast sicher eine Menge zu tun, und ich bringe dir dein ganzes Leben durcheinander.«
    Sie will noch etwas sagen, weiß gar nicht, was, will protestieren, doch er schüttelt nur langsam den Kopf, und sie steht auf, gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Wächsern, fällt ihr noch ein, aber im Moment fühlt sich die Haut warm und trocken an. »Ich komme morgen wieder, schlaf gut«, sagt sie noch an der Tür, doch er starrt in den Fernseher oben an der Decke, der ohne Ton läuft.
    Auf dem Flur steht nur der Wagen mit den Medikamenten für die Nacht. Durch eine Tür hört sie ein gedämpftes Husten und die laute, aufmunternde Stimme der Schwester. Sie kann unmöglich zu ihrem Vater

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