Die Saat - Ray, F: Saat
dennoch erwartet wird, dass sie jeden Tag mit etwas Neuem ins Büro kommen.
»Mein Gott, es ist so schrecklich, das mit Professor Frost! Die Polizei hat mich mit Fragen gelöchert.« Sie zuckt die Schultern. »Na ja, ist ja auch richtig so.« Ihr Blick heftet sich an ihre Hände, die sich um den Fuß des Cognacschwenkers gelegt haben. »Entschuldigen Sie«, sie sieht auf, als hätte sie sich jetzt erst wieder an seine Anwesenheit erinnert, »es tut mir sehr leid, wegen Ihrer Frau.«
Er nickt. »Sie kannten meine Frau?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, nicht direkt. Ihre Frau hat Professor Frost einige Male angerufen. Und dann hat er mir aufgetragen, für Freitagabend einen Tisch im Nectar zu reservieren. Ach, eine neue Bekanntschaft?, habe ich ihn gefragt. Sie sind auf dem Holzweg, Lorraine, hat er mir gesagt, eine alte Freundin.« Sie spielt mit dem Stiel des Glases.
Er kann sich beim besten Willen nicht erinnern, dass Sylvie einmal diesen Namen genannt hat.
»Woher sie sich kannten, wissen Sie auch nicht?«
Lorraine Kempf schüttelt wieder den Kopf und trinkt einen Schluck Cognac. Das Licht blitzt auf dem Goldrand ihrer Brille auf. Ethan bestellt der Einfachheit halber dasselbe, als der Wirt an den Tisch kommt und ihn mit stummem Blick zu einer Bestellung auffordert.
»Nein. Leider nicht. Aber Professor Frost kennt viele Leute. Er ist ja oft unterwegs, arbeitet für die EFSA.«
»EFSA?«
»Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Dann fährt er zu Kongressen und so.«
»Womit hat sich Professor Frost denn beschäftigt?«
»Mit Nahrungsmittel- und Antibiotikaverträglichkeit. Er hat Ratten verschiedene Nahrungsmittel zu fressen gegeben und dann beobachtet, wie die sich auf den Organismus auswirken.« Sie hebt die Schultern, lässt sie wieder fallen. Als könnte sie überhaupt nicht verstehen, wie man damit seine Lebenszeit verbringen kann.
»Und was haben Antibiotika mit Nahrungsmitteln und Gentechnologie zu tun?« Er denkt an die Information von Lejeune, dass die Mörder offenbar aus der Szene der Gentechnikfeinde kommen.
»Na ja, ich kann Ihnen das nur sehr laienhaft erklären. Also: Wenn man eine Pflanze oder eine Zelle gentechnisch verändert, wenn man ein neues Gen implantiert, markiert man es mit einem Resistenzmarker, damit man es von anderen, nicht gentechnisch veränderten unterscheiden kann. Dazu nimmt man meist Antibiotikaresistenzen. Wenn man nun das Antibiotikum den Pflanzen appliziert, sterben alle normalen Pflanzen ab und nur die gentechnisch veränderten, also die mit der Resistenz können weiter wachsen.« Sie sieht ihn fragend an. »Ist das so einigermaßen …«
Er kann es sich ungefähr vorstellen. Aber dass deshalb jemand den Forscher umbringt und noch dazu auf eine solch grausame Art, das kann er sich nicht vorstellen.
»Nicolas, sein Assistent, könnte Ihnen sicher besser Auskunft geben, aber er ist aus verständlichen Gründen verschwunden.«
»Wissen Sie, wo er jetzt ist?«
Sie will es nicht sagen, sie ist eine gute Freundin, erklärt sie, sie kennen sich seit Jahren, sie hat all seine glücklichen und unglücklichen Liebschaften mitbekommen, er hat sich bei ihr ausgeheult.
»Er hat mir verboten, jemandem zu sagen, wo er ist«, sagt sie und starrt in ihr leeres Glas.
Nach dem zweiten Cognac erzählt sie Ethan von ihrem Frust mit ihrem Freund, der sie von oben herab behandelt.
»Warum sind Sie noch mit ihm zusammen?«, fragt er und hebt sein Glas, damit auch sie weitertrinkt.
»Ich kann einfach nicht anders.«
Dann, endlich, der dritte Cognac bricht ihren Widerstand, und sie vertraut ihm an, dass sich Nicolas heute Abend bei ihr gemeldet hätte.
»Er ist in Méautis, bei seinem Exfreund. Ich hab das ganze Drama mitgekriegt, vor anderthalb Jahren. Marc war ziemlich, na ja, durchgeknallt, er hatte einen Dessous-Laden oder so was mit Fetischen und Gummizeug, und auf Drogen war er auch. Ich kenne Nicolas schon seit der Schule, und ich hab gesehen, wie er mit diesem Typ vor die Hunde gegangen ist. Es war abzusehen, dass Marc einen Zusammenbruch haben würde. Ist dann auch passiert. Zu viele Drogen, zu viele Partys, zu viel Sex. Er war in einer Klinik, hat eine Entziehungskur gemacht, und dann, stellen Sie sich vor, hat er den Hof seiner Eltern in irgend so einem Kaff auf dem Land übernommen. Macht jetzt Biokäse, Biowurst, und ein paar Zimmer vermietet er auch.«
Ethan kann ihr schließlich noch Name und Adresse entlocken, dann zahlt er und setzt sie in ein
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