Die Saat - Ray, F: Saat
erst mal Luft holen. »Wo ist unser Schriftsteller?«
»Hatten Sie nicht Ibrahim beauftragt …«
Ibrahim ist gestern dringend von den Kollegen aus dem Drogendezernat angefordert worden, und sie hat zugestimmt. Erster Fehler. In der Nacht, hat sie entschieden, wird sie ihn von seinem Beobachtungsposten abziehen können. Zweiter Fehler. Sie arbeitet nicht konzentriert genug. Was ist nur los mit ihr? Mit einer wedelnden Handbewegung scheucht sie David auf.
»Fahren wir zu Harris, halt, haben Sie seine Nummer parat?«
»Im Computer, ja.« David wählt von seinem Platz aus. »Was soll ich ihm sagen?«
»Geben Sie ihn mir.« Warum bin ich nicht stolz auf David? Warum? Weil ich ihn einfach nicht mag. Bin ich neidisch? Neidisch auf seine Jugend? Auf seine Unabhängigkeit? Ich bin auf dem besten Weg, eine verbitterte Frau zu werden.
David zieht die Brauen hoch. »Niemand da. Nur der Anrufbeantworter.«
»Und sein Handy? Er hat doch ein verdammtes Handy!«
Wieder wählt David, und wieder legt er auf. »Mobilbox.«
Lejeune ist schon an der Tür. »Los, worauf warten Sie noch?«
Ihr Fehlerkonto ist längst überzogen.
11
Tromsø
Langsam rollt das Taxi die letzten Meter zum Haus. Zwischen hohen Nadelbäumen leuchtet das blutrote Holzhaus, von dessen weißem Giebel Eiszapfen hängen, wie lange Zähne. Hochlinveien, ein zweistöckiges rotes Haus, kaum drei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Draußen ist ein Licht, hat Professor Hirsch gesagt.
Eisige Kälte packt Ethan, als er aussteigt, der Schnee fällt auf ihn wie ein dichtes Netz. Da wird schon die Haustür geöffnet, und ein schlanker, mittelgroßer Mann in einem roten Fleece-Pulli begrüßt ihn mit lauter Stimme.
»Es tut mir leid, dass es nicht früher ging.« Er wirkt jung mit seinem gebräunten Gesicht, den elastischen Bewegungen und dem dichten weißen Haar. Fünfundsechzig ist er laut Biografie. Wahrscheinlich geht er Skilaufen und Fischen und hackt das Holz selbst. Ethan zieht die Handschuhe aus und schüttelt Professor Hirsch die Hand.
»Danke, dass Sie Zeit haben.« Professor Hirsch sieht nach links und rechts, ganz schnell, kaum merkbar, doch Ethan ist es nicht entgangen.
»Fürchten Sie, dass wir beobachtet werden?«
»Reine Gewohnheit. Ich kriege seit Jahren Drohbriefe. Man gewöhnt sich dran, aber dann, wenn anderen so was passiert, wie Jérôme … aber kommen Sie rein, es ist verdammt kalt draußen.«
Ethan schüttelt die Schneeflocken von seiner Jacke und betritt den warmen, hellen Flur. Ein behagliches, sicheres Nest, denkt er, das sich Professor Hirsch und seine Frau da oben, fast am Polarkreis, geschaffen haben.
»Leider ist meine Frau noch ein paar Tage länger weg, sonst hätte ich Ihnen etwas zum Essen anbieten können.« Professor Hirsch weist zu den Holzhaken im Flur, und Ethan hängtseine Jacke auf. Um seine Schuhe bildet sich eine Wasserlache. »Machen Sie sich keine Umstände, ich hatte ein opulentes Frühstück.«
»Ja, das kriegt man hier, musste mich erst mal umstellen, nach dem petit déjeuner in Paris.« Professor Hirsch geht weiter ins Wohnzimmer und ruft über die Schulter. »Nehmen Sie sich ein Paar Hausschuhe, und dann kommen Sie rein, ich habe schon mal Tee gemacht.«
Widerwillig zieht Ethan seine festen Schuhe aus und schlüpft noch widerwilliger in ein Paar graue Pantoffeln. Ohne Schuhe fühlt er sich nackt, und in grauen Pantoffeln, die schon andere an ihren Füßen getragen haben, fühlt er sich besonders unwohl.
Der Professor macht eine einladende Bewegung zur Couch, vor der auf einem niedrigen Holztisch eine blaue Teekanne und zwei Tassen bereitstehen. Jetzt weiß Ethan auch, welcher Duft das Haus ausfüllt. Zimt. Der Professor hat Zimttee gemacht. Das Wohnzimmer wird von mehreren Steh- und Tischlampen in ein warmes Licht getaucht und ist mit dicken bunten Teppichen ausgelegt, die Möbel sind aus hellem Holz, genauso wie das Gestell der Couch, die zusammen mit zwei Ohrensesseln um einen gusseisernen Ofen angeordnet ist, in dem ein Feuer brennt. Einfach, aber doch behaglich. »Nehmen Sie den Sessel, da sitzt man am bequemsten. Es ist schrecklich, was passiert ist.« Professor Hirsch schüttelt den Kopf, auf seiner gebräunten Stirn vertiefen sich die Falten. »Mein Beileid.« Er gießt Tee ein. »Zucker, Milch, Zitrone, wenn Sie mögen«, sagt er und setzt sich in die Ecke der Couch, als würde er eine Stütze suchen. Ethan erspart sich eine längere Einleitung.
»Ich habe nach einer Verbindung zwischen
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