Die Saat
Für die menschliche Haut ist eine ungeschützte Bestrahlung sehr schädlich, bei einem Vampir aber ... Nun, Sie halten eine hocheffektive Waffe in den Händen.«
Mit der Lampe in der einen und dem Gehstock in der anderen Hand ging der alte Mann die Treppe hinunter. Da das ultraviolette Spektrum praktisch kein Licht im sichtbaren Bereich umfasste und somit zur bloßen Beleuchtung nicht geeignet war, trug das UV-C-Licht eher zur düsteren Atmosphäre bei, als sie zu mildern. Auf den Steinwänden an den Seiten der Treppe leuchtete gespenstisch weißes Moos.
Unten angekommen, konnte Eph die dunklen Konturen der Treppe, die ins Erdgeschoss führte, eine Waschecke und einen alten Flipperautomaten erkennen.
Und einen auf dem Boden liegenden Körper.
Ein Mann. In einem karierten Schlafanzug. Der Reflex des ausgebildeten Arztes drängte Eph, zu ihm zu gehen - doch er blieb still stehen, bewegte sich nicht. Nora tastete die Wand ab, fand den Lichtschalter, drückte ihn. Nichts.
Mit langsamen, aber festen Schritten näherte sich Setrakian dem Mann und richtete die Lampe auf dessen Hals. Das indigoblaue Leuchten brachte auf der linken Seite der Kehle einen kleinen, geraden Schnitt zum Vorschein.
Nun schaltete auch Nora ihre Lampe an und beleuchtete das Gesicht des Mannes. Eine totenähnliche Maske, die sich unter der Haut zu krümmen, zu winden schien. Ein grotesker Anblick.
Setrakian suchte im Keller herum, bis er eine Axt mit lackiertem Holzstiel und rötlich silbern glänzender Klinge fand. Er griff danach.
»Moment«, sagte Eph.
»Treten Sie bitte beiseite, Doktor.« »Aber er liegt doch nur da.«
»Bald nicht mehr.« Der alte Mann deutete auf die steinernen Stufen, die hinauf in den Garten führten, während sein Blick keine Sekunde von dem auf dem Boden liegenden Mann wich. »Das Mädchen ist jetzt dort draußen. Und es ist hungrig.« Er hob die Axt. »Ich bitte Sie nicht darum, das hier gutzuheißen, Doktor. Ich bitte Sie lediglich, zur Seite zu treten.«
Als Eph die Entschlossenheit in Setrakians Gesicht sah, kam er dieser Bitte nach. Der Professor hob beide Arme hoch über den Kopf, bis das stumpfe Ende der Klinge fast seinen Rücken berührte - und dann senkte er die Axt wieder. Wandte sich zur Kellertür um und lauschte.
Eph hörte es ebenfalls. Schritte im raschelnden Gras. Zunächst dachte er, es sei ein Tier. Doch die Schritte hatten den Rhythmus eines Zweibeiners. Eines Menschen. Oder eines Wesens, das einmal ein Mensch gewesen ist.
»Gehen Sie zur Tür«, flüsterte Setrakian.
»Leise.
Schließen Sie sie, sobald sie hier im Raum ist.« Er nahm Eph die Lampe ab und drückte ihm stattdessen die Axt in die Hand. »Sie darf nicht entkommen.« Dann ging er zu seinem Gehstock, der gegenüber der Tür an der Wand lehnte, schaltete die Lampe aus und verschmolz mit der Dunkelheit.
Eph und Nora standen neben der Kellertür, den Rücken fest gegen die Wand gedrückt, und versuchten, ihre Angst nicht in Panik umschlagen zu lassen. Die Schritte waren jetzt ganz nah.
Dann Stille. Der Mond warf einen blassen Schatten in den Keller: ein Kopf, Schultern.
Das Mädchen kam langsam die Treppe herunter.
Vor der Tür blieb sie abermals stehen. Eph, keine drei Meter entfernt, die Axt an die Brust gedrückt, war von ihrem Anblick wie gelähmt. Sie war klein und dünn, hatte kurzes blondes Haar und trug ein schlichtes knielanges Nachthemd. Sie war barfuß.
Später sollte Eph mehr über diese Wesen erfahren: Dass Gehör und Geruchssinn außerordentlich gut entwickelt sind; dass sie das Blut ihrer Opfer pulsieren hören und das Kohlendioxid riechen können, das diese mit jedem Atemzug ausstoßen. Und dass das Sehvermögen der schwächste ihrer Sinne ist, vor allem in der Zeit kurz nach der Verwandlung, in der sie die Fähigkeit verlieren, Farben zu sehen, und ihr »Wärmesehvermögen «, die Fähigkeit, Temperatursignaturen als monochrome Umrisse zu erkennen, noch nicht vollständig ausgeprägt ist.
Später. Jetzt aber stand dort ein kleines Mädchen im Mondschein. Ein Mädchen in Zacks Alter.
Ein Mädchen, das nun einige Schritte vorwärts machte, in die Dunkelheit des Kellers trat. Eph hätte die Tür schließen müssen, doch er war wie gelähmt.
In diesem Moment schaltete Setrakian die Lampe ein und ging auf das Mädchen zu. Sie starrte ihn ausdruckslos an, dann schien sie etwas zu spüren, wandte sich wieder zur Kellertür, wollte fliehen.
Eph riss sich aus seiner Starre - und die schweren Türflügel knallten so
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