Die Saat
Flur entlang, runzelte die Stirn über ein paar Klumpen Erde auf dem Läufer -
dieser kleine Teufel!
- und blieb vor der geschlossenen Tür stehen, an deren Knauf ein herzförmiges Seidenkissen mit dem aufgestickten Schriftzug PSSST! SCHLAFENDES ENGELCHEN! hing. Als sie die Tür zum dämmrigen, warmen Kinderzimmer öffnete, erschrak sie zu Tode. Im Schaukelstuhl neben der Wiege saß eine Frau und wippte vor und zurück. Eine Frau mit einem Bündel im Arm. Sie wiegte die kleine Jacqueline.
Wegen der Wärme des Zimmers, des sanften Lichts der indirekten Beleuchtung und des angenehm weichen Teppichbodens unter ihren Füßen brauchte Patricia einige Zeit, bis sie die absurde Situation ganz und gar erfasste. »Wer sind Sie?« Als sie etwas weiter hineinging, kam ihr die Haltung der Frau vage vertraut vor. »Joan? Joan, bist du das? Was machst du? Bist du durch die Garage reingekommen?«
Joan - sie war es
tatsächlich
- hörte auf zu schaukeln und erhob sich vom Stuhl. Im Licht des rosa Lampenschirms hinter ihr konnte Patricia den merkwürdigen Ausdruck auf ihrem Gesicht kaum erkennen, doch ihr Mund wirkte seltsam verzerrt und sie stank. Unwillkürlich musste Patricia an ihre Schwester und jenes unendlich schreckliche Thanksgiving-Fest vergangenes Jahr denken. Hatte Joan vielleicht einen ähnlichen Zusammenbruch?
Aber warum war sie hier und hielt Jacqueline auf dem Arm?
Joan streckte die Arme aus, um Patricia den Säugling zu reichen. Als Patricia ihr Baby nahm, erkannte sie sofort, dass etwas nicht stimmte: Die Reglosigkeit der Kleinen ging weit über einen entspannten Säuglings schlaf hinaus. Mit ängstlich verkrampften Fingern zog sie die Decke zurück, die Jackies Gesicht bedeckte. Die Rosenknospen ähnlichen Lippen des Babys waren leicht geöffnet, die kleinen dunklen Augen starrten ins Nichts. Die Decke unterhalb des kleinen Halses war ganz feucht, und als Patricia die Finger wieder wegnahm, waren sie klebrig von Blut.
Der Schrei, der in ihrer Kehle aufstieg, drang nicht mehr nach außen.
Ann-Marie Barbour war buchstäblich mit ihrer Weisheit am Ende. Sie stand in der Küche, flüsterte Gebete, umklammerte den Rand der Spüle, als wäre das Haus, in dem sie ihr gesamtes Eheleben verbracht hatte, eine kleine Nussschale, ausgesetzt auf einem wirbelnden schwarzen Meer. Sie betete ohne Unterlass. Um Hilfe. Um einen Hoffnungsschimmer. Sie wusste, dass ihr Ansel nicht böse war, nicht das, was er den Anschein erweckte zu sein. Er war nur sehr, sehr krank. Welche Krankheit auch immer ihn heimgesucht hatte, sie würde vorübergehen wie ein schlimmes Fieber, und alles würde wieder so sein wie vorher.
Aber er hat die Hunde umgebracht ...
Sie blickte zu dem abgeschlossenen Schuppen im dunklen Garten hinüber. Alles war ruhig.
Ihre Zweifel kehrten zurück - wie bei den Nachrichten über die toten Passagiere von Flug 753, die aus den Leichenschauhäusern verschwunden waren. Irgendetwas ging hier vor, etwas Schreckliches -
er hat die Hunde umgebracht!
-, und nur wiederholte Abstecher zu den Spiegeln und der Spüle milderten ihre Furcht ein wenig. Waschen und Glas berühren, sich Sorgen machen, beten.
Warum vergrub sich Ansel tagsüber unter der Erde?
Er hat die Hunde umgebracht!
Warum sah er sie, seine Ehefrau, immer so hungrig an?
Er hat sie umgebracht!
Warum
sagte
er denn nichts, sondern knurrte und jaulte nur -
wie die Hunde, die er umgebracht hat ...
Wieder hatte die Nacht den Himmel in Besitz genommen. Davor hatte sie sich schon den ganzen Tag über gefürchtet.
Warum war es nur so still da draußen?
Ann-Marie ging in den Garten, wobei sie die Gräber der Hunde keines Blickes würdigte. Sie durfte jetzt nicht dem Wahnsinn nachgeben. Jetzt musste sie die Starke sein. Noch eine kurze Weile, nicht mehr lange ...
Die Tür des Schuppens lag vor ihr. Das Schloss und die Kette. Sie stand da, lauschte, die Faust so fest auf den Mund gedrückt, dass ihre Schneidezähne zu schmerzen begannen.
Was würde wohl Ansel tun? Würde er die Tür öffnen, wenn sie sich dort drin befände? Würde er sich zwingen, ihr gegenüberzutreten?
Ja. Das würde er.
Ann-Marie öffnete das Schloss, löste die Kette, trat ein und stellte sich genau an die Stelle, von der sie wusste, dass er sie nicht erreichen konnte.
Ein schrecklicher Gestank herrschte in dem Schuppen. Ein
gottloser
Gestank. Schon dieser üble Geruch trieb ihr Tränen in die Augen.
Sie sah nichts. Sie lauschte. Sie würde sich nicht hineinlocken
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