Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
Vom Netzwerk:
lassen.
    »Ansel?«
    Kaum mehr als ein Flüstern, was über ihre Lippen kam.
    Keine Antwort. »Ansel?«
    Ein Rascheln. Eine Bewegung im Schmutz. Weshalb hatte sie keine Taschenlampe mitgenommen?
    Sie streckte die Hand aus, um die Tür weiter aufzustoßen. Genug, um etwas mehr Mondschein in den Schuppen zu lassen.
    Da war er. Er lag in einem Bett aus Erde, das Gesicht zur Tür gewandt, die Augen eingefallen und voller Schmerz. Sie sah sofort, dass er im Sterben lag. Ja, ihr Ansel starb. Wieder dachte sie an die Hunde, die früher hier geschlafen hatten, Pap und Gertie, die treuen Bernhardiner, die sie mehr geliebt hatte, als es Haustieren zustand. Die er getötet hatte und deren Platz er aus freien Stücken eingenommen hatte, um ... um sie und die Kinder zu retten.
    Und dann begriff sie. Er musste jemand anderem Schaden zufügen, um leben zu können. Er wollte, dass sie sich ihm überantwortete. Das wusste sie genau. Sie konnte es spüren.
    Ansel stieß ein kehliges Stöhnen aus, so stimmlos, als käme es aus den Tiefen seiner Magengrube.
    Nein, sie konnte es nicht. Ann-Marie weinte, als sie die Schuppentür wieder zumachte. Sie drückte ihre Schulter dagegen, schloss Ansel weg wie jemanden, der weder richtig lebte noch richtig tot war. Er war inzwischen viel zu schwach, um sich gegen die Tür zu werfen. Sie hörte lediglich ein weiteres protestierendes Stöhnen.
    Sie schob gerade die Kette durch den Griff, als sie auf dem Kies hinter sich Schritte hörte. Bestimmt war dieser Polizeibeamte zurückgekehrt! Sie wirbelte herum.
    Ein älterer Mann stand in der Einfahrt. Er hatte schütteres Haar, trug ein Hemd mit steifem Kragen, eine offene Strickjacke und eine weite Cordhose. Es war ihr Nachbar von gegenüber, der die Polizei verständigt hatte. Mr. Otish, der Witwer. Ein Nachbar von der Sorte, der sein Laub so auf die Straße kehrt, dass es beim nächsten Windstoß in den Garten des Nachbarn weht. Ein Mann, von dem sie nie etwas sahen oder hörten, es sei denn, es gab ein Problem, von dem er vermutete, dass sie oder ihre Kinder dafür verantwortlich waren.
    »Ihre Hunde«, sagte Mr. Otish, »finden immer einfallsreichere Mittel und Wege, mich nachts wachzuhalten.«
    Seine Anwesenheit war wie ein geisterhaftes Eindringen in einen Alptraum.
Die Hunde?
    Nein, er sprach von Ansel. Von dem Lärm, den er in der Nacht veranstaltete.
    »Wenn man ein krankes Tier hat, dann sollte man es zu einem Tierarzt bringen und entweder behandeln oder einschläfern lassen.«
    Ann-Marie war zu verwirrt, um darauf etwas entgegnen zu können. Mr. Otish kam näher, verließ die Einfahrt, trat auf den Rasen, beäugte voller Verachtung den Schuppen, aus dem ein heiseres Stöhnen drang.
    Er verzog angewidert das Gesicht. »Sie werden wegen die ser Köter etwas unternehmen müssen. Andernfalls rufe ich nochmals die Polizei, und zwar sofort.«
    »Nein!«, rief sie.
    Mr. Otish lächelte, überrascht von ihrer Angst. Er genoss das Gefühl von Macht, das sie ihm vermittelte. »Also, was beabsichtigen Sie zu tun?«
    Ann-Maries Mund öffnete sich, doch es fiel ihr nichts ein, was sie darauf hätte erwidern können. »Ich ... ich werde mich darum kümmern.«
    Mr. Otish sah zur Veranda hinter dem Haus. Offenbar hatte er das Licht in der Küche bemerkt. »Ist denn der Herr des Hauses verfügbar? Ich würde lieber mit ihm sprechen.« Sie schüttelte den Kopf.
    Ein weiteres schmerzerfülltes Stöhnen erklang aus dem Schuppen.
    »Nun, ich rate Ihnen, wegen dieser verlausten Kreaturen etwas zu unternehmen - andernfalls tue ich es. Jeder, der auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, Mrs. Barbour, wird Ihnen bestätigen, dass Hunde Nutztiere sind, die nicht verhätschelt werden dürfen. Es bekommt ihnen erheblich besser, wenn sie die Rute statt der sanften Hand spüren. Das gilt ganz besonders für eine so plumpe Rasse wie Bernhardiner.«
    Nur wenig von dem, was er sagte, drang zu ihr durch.
    Etwas über ihre Hunde ...
    Der einzige Grund, warum sie den Pflock im Schuppen eingebaut hatten, war, weil Pap und Gertie einige Male weggelaufen waren. Und einmal, es war noch gar nicht so lange her, war Gertie, die Zutraulichere, die Arglose, mit Blessuren nach Hause gekommen: Rücken und Hinterläufe waren mit Striemen überzogen gewesen ... gerade so, als hätte jemand mit einer Rute auf sie eingedroschen.
    In diesem Moment vergaß Ann-Marie Barbour all ihre Furcht. Sie sah diesen Mann an - diese hässliche, kleine, verschrumpelte Persiflage eines Mannes -, und plötzlich

Weitere Kostenlose Bücher