Die Saat
begriff Sie.
»Sie ... « Ihr Kinn zitterte, jedoch nicht mehr aus Angst, sondern vor Wut.
»Sie
haben das getan. Sie haben ihr
weh
getan
... «
Empört darüber, wie sie mit ihm redete, riss er seine Augen für einen Augenblick weit auf. Gleichzeitig verriet er damit seine Schuld.
»Falls
ich es getan habe«, erwiderte er in seiner gewohnt herablassenden Art, »hatte er es sich selbst zuzuschreiben. «
Jetzt kochte Ann-Marie innerlich. Alles, was sie während der letzten Tage in sich hineingefressen hatte - ihre Kinder fortzuschicken, die toten Hunde zu begraben, sich um ihren leidgeprüften Mann zu sorgen -, trat nun an die Oberfläche. »Sie«, sagte sie.
»Was?«
»Sie. Gertie ist eine Sie.«
Ein weiteres Stöhnen aus dem Schuppen. Ansels Verlangen ...
Zitternd wich Ann- Marie zurück. »Wollen Sie selbst nachsehen? «, hörte sie sich sagen.
»Wie bitte?«
»Sie wollen die Hunde zähmen? Dann sehen Sie doch mal, was Sie tun können.«
Er funkelte sie ungehalten an. Eine Frau forderte ihn heraus? »Ist das Ihr Ernst?«
»Sie wollen Ruhe und Frieden? Schön, ich auch!« Sie wischte sich ein wenig Speichel vom Kinn und schüttelte den feuchten Finger in seine Richtung.
»Ich auch!«
Mr. Otish sah sie einen langen Moment an. »Es stimmt schon, was die Leute sagen. Sie
sind
verrückt! «
Wie um ihn zu bestätigen, setzte sie ein irres Grinsen auf und nickte, während er zu den Bäumen am Rande des Gartens lief. Er zog an einem dünnen Zweig, riss fest daran, bis er ihn in der Hand hielt. Er testete ihn, lauschte auf das an einen Degen erinnernde
Wusch,
als er ihn durch die Luft sausen ließ, und ging zufrieden zum Schuppen.
»Ich möchte, dass Ihnen bewusst ist«, sagte er, »dass ich das, was ich jetzt vorhabe, nicht mir, sondern Ihnen zuliebe tue.«
Zitternd sah Ann-Marie zu, wie er die Kette entfernte. Die Tür schwang langsam auf, und Mr. Otish tappte hinein, versuchte seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Weit genug ...
»Also «, sagte er, »wo stecken diese Bestien? «
Ann-Marie hörte das Knurren, dann das Klirren der eisernen Leine. Es klang, als ließe man eine Handvoll Münzen fallen. Mr. Otish schrie. Und Ann-Marie rannte los, warf sich gegen die Tür, hielt sie zu, während der verzweifelte Mr. Otish von innen dagegenhämmerte. Sie zog die Kette durch den Türgriff, ließ das Vorhängeschloss einrasten ... und flüchtete ins Haus, nur weg von dem bebenden Schuppen. Weg von der grausamen Tat, die sie gerade begangen hatte.
Mark Blessige stand mit dem Blackberry in der Hand in der Eingangsdiele seines Hauses und wusste nicht, was er tun sollte. Keine Nachricht von seiner Frau. Ihr Handy steckte in ihrer Burberry-Tasche, der Volvo-Kombi stand in der Einfahrt, der Kindersitz im Windfang. Kein Zettel in der Küche, nur ein halb geleertes Glas Wein auf der Arbeitsfläche. Patricia, Marcus und die kleine Jackie waren fort.
Mark sah in der Garage nach. Alle Autos und Kinderwagen waren da. Er warf einen Blick auf den Kalender im Flur, aber dort war nichts eingetragen. War sie sauer auf ihn, weil er wieder einmal zu spät kam? Hatte sie ihm eine kleine Bestrafung zugedacht? Mark schaltete den Fernseher ein und beschloss, es einfach auszusitzen. Doch nach und nach begann er sich wirklich Sorgen zu machen.
Zweimal nahm er den Hörer ab, um die Polizei anzurufen, zweimal ließ ihn die Vorstellung, die Schmach, dass ein Streifenwagen vor seinem Haus hielt, die Absicht wieder verwerfen. Schließlich trat er aus der Haustür, sah die Straße hinauf, fragte sich, ob sie wohl zu einem Nachbarn gegangen waren. Doch dann fiel ihm auf, dass nahezu jedes Haus im Dunkeln lag. Nirgendwo konnte er das warme gelbe Licht irgendeiner antiken Lampe entdecken, die auf einem polierten Buffet thronte. Nirgendwo sah er einen Computermonitor oder Fernsehschirm hinter handgenähten Spitzengardinen flackern.
Er blickte zum Haus der Lusses auf der anderen Straßenseite, betrachtete die stolze Patrizierfassade, die alten weißen Ziegel. Auch dort war allem Anschein nach niemand zu Hause. War irgendetwas geschehen? Eine Katastrophe? War eine Evakuierung angeordnet worden?
Plötzlich sah er jemanden aus den hohen Büschen treten.
Es war eine Frau, die in den fleckigen Schatten des Eichenlaubs recht mitgenommen wirkte. Sie hielt ein Kind in den Armen.
Die Frau marschierte schnurstracks über die Zufahrt, wurde einen Moment vom Lexus der Lusses verdeckt und verschwand dann durch den Seiteneingang neben der
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