Die Saat
nichts anderes übrigblieb, als die Arme auszustrecken, um ihn aufzufangen. Dann sah er, wie etwas aus dem Mund des Jungen drang ... und sich in seinen Hals grub. Der Schmerz war so heftig, als würde ihm ein heißer Bratspieß in die Haut getrieben.
Er fiel nach hinten, ging zusammen mit dem Jungen zu Boden, der nun, fest mit seinem Hals verbunden, rittlings auf seiner Brust saß. Mark versuchte etwas zu sagen, versuchte zu schreien, doch die Worte gerannen in seinem Hals.
Der Körper des Jungen drückte sich an ihn, und Mark konnte das Schlagen seines kleinen Herzens spüren - fast so, als wäre es sein eigenes Herz. Er merkte, wie sich der Rhythmus des Jungen beschleunigte, kräftiger und zu einem fiebrigen Galopp wurde.
Poch-poch-poch.
Der Junge fuhr mit seinen knochigen Fingern in Marks Haar, verstärkte den Griff um seine Beute ...
Und dann waren sie alle über ihm und auf ihm, die braven Bürger von Bronxville, rissen an seiner Kleidung, durchbohrten sein Fleisch, saugten ihn aus. Der Druck auf seinen Hals schwand - und Mark verwandelte sich in einen weiß leuchtenden Stern reinen Schmerzes.
Neeva drückte die Tür einen Spaltbreit auf, um nachzusehen, ob die Kinder endlich eingeschlafen waren. Keene und Audrey Luss lagen in Schlafsäcken auf dem Boden vor dem Bett von Neevas Enkeltochter Narushta. Die meiste Zeit über schien es den bei den hier zu gefallen - immerhin war Neeva ihre Nanny gewesen, seit Keene vier Monate alt war -, doch heute Abend hatten sie beide geweint. Sie vermissten ihre eigenen Betten. Sie wollten wissen, wann sie wieder nach Hause durften, wann Neeva sie zurückbringen würde. Und Sebastiane, Neevas Tochter, fragte andauernd, wie lange es wohl noch dauern mochte, bis die Polizei ihre Tür aufbrach. Aber es war nicht die Polizei, die Neeva Sorgen bereitete.
Sebastiane war in den USA geboren, hatte amerikanische Schulen besucht und besaß die typisch amerikanische Arroganz. Einmal im Jahr nahm Neeva ihre Tochter mit nach Haiti, aber Sebastiane lehnte die alten Sitten und Gebräuche ab. Lehnte das alte Wissen ab. Na schön, sollte sie. Aber dass Sebastiane ihre Mutter als abergläubische Närrin hinstellte, war mehr, als Neeva ertragen konnte. Besonders, nachdem sie diese beiden verwöhnten Kinder gerettet und ihre eigene Familie damit in Gefahr gebracht hatte.
Auch wenn sie selbst römisch-katholisch erzogen worden war, hatte Neevas Großvater mütterlicherseits Voodoo praktiziert. Er war ein
Dorf-Bokor
gewesen, ein Zauberer, der sowohl weiße als auch schwarze Magie ausübte. Obwohl er angeblich große
Ashe,
spirituelle Macht, besessen und häufig versucht hatte,
Zombie astrale
- Seelen, die in einem unbelebten Gegenstand gefangen waren - zu bannen, hatte er sich doch nie an der schwärzesten Kunst versucht: der Wiederbelebung einer Leiche, der Umwandlung eines toten Körpers in einen Zombie. Er hatte zu große Ehrfurcht vor der dunklen Seite gehabt, hatte behauptet, die Überschreitung dieser Grenze sei eine Beleidigung der
Loa,
der Gottheiten der Voodoo- Religion, die ähnlich den Heiligen oder Engeln der Christen als Mittler zwischen Mensch und Schöpfer dienen. Und doch hatte er an Exorzismen teilgenommen, bei denen die Verfehlungen auf Abwege geratener
Houngans
korrigiert wurden. Neeva hatte ihn dabei begleitet. Und das Antlitz der Untoten gesehen.
Als Joan sich in der ersten Nacht in ihrem Schlafzimmer eingeschlossen - es war so luxuriös wie die Hotelsuiten, die Neeva in Manhattan geputzt hatte, als sie gerade nach Amerika gekommen war - und das Stöhnen schließlich aufgehört hatte, hatte Neeva kurz den Kopf durch die Tür gesteckt, um nach ihr zu sehen. Joans Augen wirkten tot, ihr Herz raste, die Laken waren völlig durchgeschwitzt und rochen stark. Das Kopfkissen war mit weißlichem, ausgehustetem Blut befleckt. Neeva hatte bereits Kranke und Sterbende gepflegt und sie wusste mit einem Blick auf Joan Luss, dass ihre Arbeitgeberin keiner Krankheit, sondern dem Bösen zum Opfer gefallen war.
Das war der Moment gewesen, in dem sie die Kinder genommen und das Haus verlassen hatte.
Jetzt überprüfte Neeva erneut die Gitter vor den Fenstern.
Sie wohnten im Erdgeschoss eines Dreifamilienhauses, und Sicherheitsgitter waren ein gutes Abschreckungsmittel für Einbrecher, doch Neeva traute ihnen nicht. Am Nachmittag war sie einmal ums Haus gegangen und hatte an den Gittern gerüttelt. Sie schienen solide und fest. Als weitere Vorsichtsmaßnahme hatte sie - ohne Sebastiane
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