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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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etwas davon zu erzählen, was Neeva einen Vortrag über Brandsicherheit erspart hatte - die Fenster vernagelt und das im Kinderzimmer zusätzlich mit einem Bücherregal verstellt. Außerdem hatte sie die Gitterstangen mit Knoblauch eingerieben - was sie klugerweise ebenfalls niemandem erzählte - und hatte, obwohl sie nicht vergessen hatte, wie unwirksam ihr Kruzifix im Keller der Lusses gewesen war, eine Literflasche Weihwasser aus der Kirche geholt.
    Nervös, aber zuversichtlich, dass diese Vorsichtsmaßnahmen wirken würden, zog sie alle Vorhänge zu und knipste jede Lampe an. Danach setzte sie sich in ihren Lieblingssessel und legte die Füße hoch, bereit, eine weitere Nacht Wache zu halten. Die schwarzen Schuhe mit den dicken Absätzen behielt sie an - für den Fall, dass sie schnell losrennen musste. Sie schaltete den Fernseher ein, drehte ihn aber ganz leise.
    Die herablassende Haltung ihrer Tochter ging ihr stärker zu Herzen, als sie es hätte zugeben wollen. Es ist wohl die Sorge eines jeden Immigranten, dass sich die Sprösslinge die neue Kultur auf Kosten ihrer Herkunft aneignen. Neevas Angst jedoch war noch erheblich konkreter: Sie befürchtete, das übermäßige Selbstvertrauen ihrer amerikanisierten Tochter könnte ihr am Ende schaden. Für Sebastiane war die finstere Nacht lediglich eine Unannehmlichkeit, eine Phase unzureichenden Lichteinfalls, was sich mit dem Betätigen eines Schalters sofort beheben ließ. Für Neeva war die Nacht
real.
Die Nacht war nicht Abwesenheit von Licht, sondern der Tag eine kurze Verschnaufpause vor der heraufziehenden Dunkelheit ...
    Ein leises Kratzen weckte sie schlagartig auf. Ihr Kinn hob sich abrupt von der Brust. Im Fernsehen lief eine Dauerwerbesendung über die Vorzüge eines Wischmopps, der gleichzeitig ein Staubsauger war. Sie lauschte. Von der Haustür drang ein Klicken herüber. Zunächst dachte sie, Emile käme nach Hause - ihr Neffe fuhr nachts Taxi -, aber wenn er tatsächlich seine Schlüssel vergessen hätte, würde er klingeln.
    Nein, jemand anderer war an der Haustür.
    So schnell sie konnte stand Neeva auf, schlich den Flur hinunter und blieb vor der Tür stehen, horchte.
    Es war eine einfache Haustür mit einem Sicherheitsschloss, ohne Fliegengitter oder Sichtfenster. Sie hatte einen altmodischen Briefschlitz genau in der Mitte der unteren Hälfte, etwa dreißig Zentimeter über dem Boden.
    Und jetzt quietschte das Scharnier des Briefschlitzes. Die Messingklappe bewegte sich. Neeva eilte den Flur entlang, blieb einen Moment panisch keuchend stehen und hastete dann ins Bad, zu einem Korb, in dem sich Spielsachen befanden. Sie schnappte sich die Wasserpistole ihrer Enkeltochter, schraubte den Verschluss der Weihwasserflasche ab und füllte das Wasser in die winzige Öffnung, wobei sie einen großen Teil verschüttete.
    Mit gezückter Spielzeugpistole kehrte sie zur Wohnungstür zurück. Sie hörte nichts, aber sie spürte das Böse vor der Tür. Schwerfällig ließ sie sich auf ihr geschwollenes Knie nieder. Sie war nahe genug, um das Flüstern der Nachtluft durch die Messingklappe zu spüren - und sah einen Schatten die Kante entlanghuschen.
    Die Spielzeugpistole hatte eine ziemlich lange Spritzdüse.
    Neeva erinnerte sich, dass man die Unterseite vor- und zurückschieben musste, um Druck aufzubauen. Sie stieß den Briefschlitz mit der Mündung auf - das Scharnier gab ein wehleidiges Quietschen von sich -, rammte den Lauf der Waffe hinein und drückte auf den Abzug. Verspritzte Weihwasser in alle Richtungen.
    Sie stellte sich vor, wie Joan Luss versengt wurde, wie das säureartige Wasser ihren Körper verbrannte, als wäre es das goldene Schwert des Herrn - und doch hörte sie kein Klagen, kein Wimmern.
    Stattdessen tauchte eine Hand im Briefschlitz auf, umklammerte den Lauf der Spielzeugpistole, versuchte, sie Neeva abzunehmen. Die Finger der Hand waren so schmutzig wie die eines Totengräbers, die Nagelbetten käsig weiß. Neeva betätigte weiter panisch den Abzug; das Weihwasser lief über die Hand, verschmierte jedoch lediglich den Dreck. Weder zog sich die Hand zurück noch verbrannte deren Haut.
    Das Wasser hatte nicht die geringste Wirkung.
    Die Hand zerrte an der Pistole, drückte sie gegen den Briefschlitz, bis das Plastikspielzeug knackend und mit einem letzten Schwall Wasser zerbrach. Neeva wich zurück, während sich der Eindringling mit dem ganzen Körper gegen die Tür warf. Der Knauf klapperte, die Scharniere bebten, und die

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