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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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Tragfläche bis zur offen stehenden Tür.
    Langsam - ganz langsam - ging Eph hinein. Nora folgte.
    Die Stille war geradezu greifbar. Schulter an Schulter standen sie am Kopfende der mittleren Kabine.
    Vor ihnen Leichen. Reihen von Leichen. Der Schein von Ephs und Noras Taschenlampen spiegelte sich matt in den toten Juwelen zahlloser Augen wider.
    Kein Nasenbluten. Keine hervorquellenden Augen. Keine gefleckte Haut. Kein Schaum oder Blut um den Mund. Alle saßen sie in ihren Sitzen ohne den geringsten Hinweis auf Panik oder Kampf. Die Arme hingen locker herunter oder lagen auf dem Schoß. Keine Anzeichen irgendwelcher Traumata.
    Handys - auf Schößen, in Taschen, gedämpft im Handgepäck - fingen immer wieder an zu klingeln oder stießen Signaltöne für eingegangene Nachrichten aus. Das waren die einzigen Laute.
    Nora deutete auf den Sky-Marshal auf seinem Fensterplatz direkt neben der Tür. Ein Mann um die vierzig, mit Geheimratsecken, einem Hemd in den Farben der New York Mets, dazu Jeans. Der Kopf war ihm auf die Brust gesackt, es sah aus, als schliefe er mit offenen Augen.
    Eph hatte in der Notausgang-Reihe genug Platz, um sich mit einem Bein hinzuknien. Er berührte die Stirn des Mannes und drückte den Kopf zurück, der sich normal bewegen ließ. Nora prüfte mit der Taschenlampe die Augenreflexe, doch Charpentiers Pupillen reagierten nicht. Eph zog an seinem Kinn, öffnete den Unterkiefer, leuchtete in den Mund. Die Zunge und der obere Teil des Rachens sahen rosa aus, keinerlei Verfärbung wie bei einer Vergiftung üblich.
    Sie brauchten mehr Licht. Eph griff nach der Sonnenblende und schob sie nach oben. Das Scheinwerferlicht flutete herein wie ein greller weißer Schrei.
    Kein Erbrochenes wie beim Einatmen von Gasen. Opfer von Kohlenmonoxid-Vergiftungen wiesen außerdem deutliche Bläschenbildung und Verfärbungen der Haut auf, was ihnen ein aufgedunsenes, lederartiges Erscheinungsbild verlieh. Nichts davon war hier zu erkennen. In Charpentiers Körperhaltung lag auch kein Unbehagen, es gab keine Anzeichen von Todesqualen. Neben ihm saß eine Frau mittleren Alters in Urlaubskleidung, eine Lesebrille auf der Nase. Sie alle saßen so da, wie jeder normale Passagier sitzen würde, die Lehnen senkrecht gestellt, darauf wartend, dass die FASTEN -SEAT- BELTS- Zeichen erloschen.
    Die Passagiere der vorderen Sitzreihe am Notausgang verstauten ihre persönliche Habe üblicherweise in einem Netzcontainer, der an die Kabinenwand vor ihnen geschraubt war. Eph zog eine weiche Virgin-Atlantic-Tasche aus dem Netz vor Charpentier und öffnete sie. Er holte ein NotreDame-Sweatshirt heraus, eine Handvoll Rätselhefte, einen Hörbuch-Krimi und einen nierenförmigen, schweren Nylonbeutel. Er machte den Reißverschluss des Beutels gerade so weit auf, dass eine schwarze, gummibeschichtete Handfeuerwaffe zum Vorschein kam.
    »Seht ihr das?«, fragte er.
    » Wir sehen es«, kam Jims Antwort über Funk. Jim, TSA und alle anderen, die ranghoch genug waren, um nahe an den Monitor heranzukommen, beobachteten alles über die Kamera, die auf Ephs Schulter montiert war.
    » Was immer es gewesen ist - es hat die Leute hier völlig überrumpelt. Einschließlich des Sky-Marshals.«
    Eph schloss die Tasche wieder und ließ sie auf dem Boden liegen. Dann ging er weiter den Gang hinunter, sich dabei über die Passagiere beugend, um jede zweite oder dritte Sonnenblende hochzuschieben. Das harsche Licht warf seltsame Schatten, erzeugte ein scharfes Relief: Reisende, die zu nahe an die Sonne geflogen und dabei umgekommen waren.
    Die Telefone sangen weiter, die Dissonanzen wurden schriller. Dutzende persönlicher Klingeltöne, die sich überlagerten. Eph versuchte, jeden Gedanken an die Anrufer auszublenden.
    Nora untersuchte einen weiteren Passagier. »Überhaupt kein Trauma«, sagte sie.
    Eph nickte. » Ja. Verdammt unheimlich.« Er blickte auf die Galerie der Leichen und dachte kurz nach. » Jim, informiere die WHO in Europa und das deutsche Gesundheitsministerium über die Angelegenheit. Die sollen die Krankenhäuser kontaktieren. Falls diese Sache hier ansteckend ist, sollten sie sie da drüben auch schon haben.«
    »Bin schon dabei.«
    In der vorderen Bordküche, zwischen Business- und Erster Klasse, saßen vier Flugbegleiter - drei Frauen, ein Mann angeschnallt auf ihren Notsitzen, die leblosen Körper nach vorne gebeugt, so wie alle anderen Passagiere. Während er an ihnen vorbeiging, schien es Eph einen Moment lang, als triebe er unter

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