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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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- und sah nicht, wie Redfern von der Seite her auf ihn zulief.
     
    Nora entdeckte Jim, als sie auf der Suche nach Redfern aus dem Treppenhaus in den Kellerkorridor trat. Er saß mit ausgestreckten Beinen an der Wand, einen schläfrigen Ausdruck auf dem Gesicht.
    Kapitän Redfern stand barfuß über ihm, auf dem Boden lag ein umgekippter Infusionsständer. Sie konnte den nackten Rücken des Piloten erkennen, der nicht vom Kittel verdeckt wurde. Und sie sah, dass ihm irgendetwas aus dem Mund hing und Blut auf den Boden tropfte.
    »Jim«, rief sie, doch Jim zeigte keine Reaktion. Redfern dagegen schien sich kurzzeitig zu verkrampfen. Als er sich zu ihr umdrehte, war das Ding an seinem Mund verschwunden. Verwirrt stellte sie fest, dass sich seine Hautfarbe von einem blassen Grau in ein frisches, gesundes Rosa verwandelt hatte. Die Vorderseite des Kittels war blutverschmiert, gen au wie seine Lippen. Noras erster Gedanke war, er müsse wohl einen spastischen Anfall gehabt und sich dabei ein Stück Zunge abgebissen haben, so dass er nun Blut schluckte.
    Bei näherem Hinsehen verwarf sie diese Diagnose jedoch wieder. Redferns Iris war tiefschwarz und die Lederhaut tiefrot, obwohl sie doch hätte weiß sein müssen. Sein Mund stand offen und war seltsam verzerrt, so als wäre sein Unterkiefer mit einem neuen, tiefer sitzenden Gelenk verbunden. Und sogar aus mehreren Metern Entfernung spürte sie, dass er eine große Hitze ausstrahlte, die deutlich stärker als bei einem gewöhnlichen Fieber war.
    »Kapitän Redfern!« Sie rief einige Male seinen Namen, versuchte, ihn in die Realität zurückzuholen. Jim blieb zusammengesunken auf dem Boden sitzen und gab keinen Mucks von sich. Offensichtlich war Redfern gewalttätig geworden. Nora wünschte, sie hätte eine Waffe bei sich. Sie sah sich um, entdeckte jedoch lediglich ein Telefon an der Wand. 555 war der interne Alarmruf ...
    Sie griff nach dem Hörer - und in diesem Moment stürmte Redfern los, packte sie und warf sie zu Boden. Offenbar verlieh ihm der Wahnsinn ungeahnte Kräfte. Er beugte sich vor und drückte ihre Arme auf den blankpolierten Fußboden. Dann verspannten sich seine Gesichtsmuskeln, er schluckte schwer, schien zu würgen. Sie befürchtete, er werde sich jeden Moment über sie erbrechen, und schrie aus Leibeskräften ...
    ... als Eph durch die Treppenhaustür gestürmt kam, sich mit seinem ganzen Gewicht auf Redfern warf und den Piloten zur Seite riss. Gleich darauf rappelte er sich wieder auf und hielt Redfern abwehrend eine Hand entgegen. »Was zum Teufel machen Sie da?«
    Der Kapitän stieß einen zischenden Laut aus, die schwarzen Augen völlig leer. Und dann begann er zu lächeln. Zumindest schien es so, weil er die entsprechenden Gesichtmuskeln benutzte - nur dass sich sein Mund weiter und weiter öffnete und sich etwas Rosafarbenes, Fleischiges herausschlängelte. Es konnte unmöglich seine Zunge sein. Es war länger, muskulöser, verästelter, es drehte und wand sich. Als hätte Redfern einen lebendigen Tintenfisch in den Mund genommen, der nun verzweifelt um sich schlug.
    Eph zuckte zurück. Panisch griff er nach dem Infusionsständer auf dem Boden und versuchte, den Kapitän und dieses Ding in seinem Mund damit in Schach zu halten. Redfern packte den Ständer, und in diesem Moment schnellte das Ding wie eine Peitsche aus seinem Mund. Es war grotesk lang und hatte einen fleischigen Stachel an seinem Ende. Eph konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen. Dann drückte Redfern den Infusionsständer zur Seite und stieß Eph damit rückwärts durch eine Tür in einen Nebenraum.
    Während Redfern auf ihn zukam, rappelte Eph sich blitzschnell wieder auf, sah sich verzweifelt um - und zog eine der chirurgischen Fräsen, die hier lagerten, aus ihrem Ladegerät. Die zylinderförmige Klinge, die normalerweise dazu benutzt wird, Schädeldecken aufzusägen, erwachte surrend zum Leben. Redfern kam näher. Er hatte den Stachel wieder eingezogen, nur das spitze Ende, an dessen Seiten bizarre Fleischsäcke pulsierten, hing noch aus seinem Mund. Ephs Hand zuckte nach vorne, versuchte, das Ding mit der Säge abzutrennen.
    Stattdessen schnitt er dem Piloten ein Stück Fleisch aus dem Hals. Weißes Blut - ähnlich dem, das Eph im Autopsiesaal gesehen hatte - trat aus. Es sprudelte jedoch nicht hervor, sondern floss zäh über Redferns Brust. Eph ließ die Fräse fallen, bevor die Substanz von der rotierenden Klinge auf ihn spritzen konnte. Dann schnappte er sich den

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