Die Sache mit dem Ich
anzusehen, Pauline, ehemals bei der französischen Vogue als Journalistin angestellt, hatte Geschmack, alle Möbel wirken leichtfüßig, selbst der Esstischleuchter ist nicht zu protzig, die Bibliothek selbstverständlich exquisit zusammengestellt. Der Führer, der die Gruppe durch das zweistöckige Haus leitet, hat weiße Haare, Vollbart und Bauch, aus irgendeinem Grund aber starren die Japaner mich an.
»Sie sehen ein bisschen aus wie Hemingway«, sagt eine der Frauen und deutet auf mein Gesicht und den Tropenhut, den ich zum Schutz vor der Hammersonne draußen auf dem Kopf trage.
»Ich weiß«, sage ich. »Ich bin sein Enkel aus Germany.«
»Ooooh!«, macht die Japanerin.
»Als Hemingway herkam«, erzählt der Führer, der sich von meiner Familiengeschichte ein wenig gestört fühlt, »war er schon ein berühmter Schriftsteller. Er hatte den Roman ›Fiesta‹ und die Kurzgeschichtensammlung ›Männer ohne Frauen‹ veröffentlicht, war im Krieg gewesen und als internationaler Reporter bekannt. Was er an Key West besonders liebte, waren zwei Dinge: Zum einen lebten hier damals nur ein paar Hundert Leute, die vom Festlandgeschehen so wenig mitbekamen, dass sie ihn gar nicht kannten. Hemingway konnte also ungestört schreiben. Zum anderen ging es den Leuten auf der Insel damals wirtschaftlich ziemlichschlecht: Viele waren durch die Depression arbeitslos geworden, nachdem die Zigarren- und Schwammindustrie abgewandert war, und schlugen sich nun mit seltsamen und halblegalen Tagesjobs herum. Nachdem Hemingway in Paris den Reichtum einer Großstadt mitsamt ihrer geistigen Elite kennengelernt hatte, traf er hier, in seinem ›St. Tropez der Armen‹, auf einen gänzlich neuen Menschentyp: den fast unzerstörbaren Überlebenskünstler, der sein zukünftiges Werk dominieren sollte.«
»Aaah«, sagen die Japanerinnen, während sie Hemingways Swimmingpool im Garten fotografieren.
Am Nachmittag gehen Fotograf Zuder und ich fischen. Obwohl ich ein Hemd mit einem aus dem Wasser springenden Marlin trage, fangen wir nichts. Aus irgendeinem Grund freut mich das. Es ist gut, dass Fischen etwas ist, das mit Geld allein nicht zu erreichen ist. Es ist gut zu wissen, dass es etwas ist, das man lernen muss.
Der entspannte, unverkrampfte Charles Thompson wird zum besten Freund, den Hemingway je haben sollte. Er bringt Hem alles bei, was er übers Fischen weiß; er lädt Pauline und ihn zu sich und seiner Frau ins Haus ein und hilft ihnen, sich in Key West niederzulassen; er stellt Hem den alten Sloppy Joe vor, dessen Bar damals noch in einer Nebenstraße der Duval Street liegt; und zusammen mit Sloppy, George und Toby Bruce, Hemingways Handwerker und »Mädchen für alles«, ziehen die Männer nachts durch die Straßen. Sie werden die berüchtigtste Gang der Insel und leben ein Leben, das in der Hauptsache aus Bier, Boxen, Hahnenkämpfen, Fischen, Tauchen besteht, und das Hemingway in »Haben und Nichthaben« und dem unvollendeten »Inseln im Strom« beschreiben wird.
Der »Papa«-Mythos vom 120 Kilo schweren Kumpel Hemingway, der die Männer seines Umfelds glücklich und die Frauen (Pauline)traurig macht, entsteht. Es ist ein Mythos, der um die Welt geht und für den Hemingway fast noch berühmter ist als für die Bücher, die er geschrieben hat.
Ich fahre mit dem Fahrrad durch Key West. Über sechzig Jahre nach Hemingways Aufenthalt erinnert nicht mehr viel an die Zeit der Depression. Wenn Hemingway Key West als »St. Tropez der Armen« bezeichnete, darf man das »der Armen« heute streichen. Es hat wirklich was vom echten St. Tropez. Tagsüber erstrahlen die bunt angemalten Häuser im Licht der Sonne, die hier selten Pause macht. Alleen voller grüner, saftiger Bäume adeln die Straßen, abends wird die Duval Street von Lampions erleuchtet, die die Touristen in die Restaurants locken sollen, in denen man Hummer, Schwertfisch und Tuna à la Hemingway essen kann. Das Potenzial für einen größeren Tourismus wurde schon Mitte der Dreißiger von dem Staatsbeamten Julius Stone erkannt, der die Strände säubern, Häuser renovieren und eine Liste von Sehenswürdigkeiten anfertigen ließ, auf der Hemingway an Platz 18 auch sein eigenes Haus wiederfand, sehr zu seinem Missfallen. Nachdem er im Sloppy Joe’s die Reporterin Martha Gellhorn kennenlernte, verzog Hem sich erst nach Europa und dann nach Kuba. Der große Run auf die Insel setzt in den Fünfzigern und Sechzigern ein, bis heute strömen die Springbreaker und die Urlauber
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