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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fischer
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Männer sehr schlecht, kann es die Dauer des Dates drastisch verkürzen (jedenfalls was Miki betrifft).
    6. Japaner mögen es überhaupt nicht, wenn man durch die verdunkelten Fenster in die Kabinen sieht. Karaoke ist ein sehr privater Akt.
    7. So privat, dass sie darin küssen, fummeln oder noch mehr.
    8. So privat, dass die Belegschaft des Karaokeklubs den Sicherheitsdienst ruft, wenn man zu lange in den Gängen herumsteht.
    Aber zum Glück hatten wir eine Kabine gemietet, und in der trugen Miki und Matsumi nun ihr Lied vor. Sie sangen schüchtern, zart und ernst. Karaoke ist selten ironisch, weil es schwer ist, ironisch zu singen. Man hat ja meist nur eine Stimme. Der Text lief über den Bildschirm, im Hintergrund galoppierte ein weißes Pferd am Strand entlang, die Gischt spritzte, wie es ihre Art ist.
    Es war angenehm mit den beiden, auch die Abgeschlossenheit in der Kabine empfand ich nicht als schlimm, aber es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass es mehr mit Miki und Matsumi zu tun hatte als mit der Magie des Karaoke. Lag es daran, dass ich selbst noch nicht gesungen hatte? So ganz klar war mir immer noch nicht, wiedaraus eine Industrie werden konnte, mit der in Asien jährlich knapp 20 Milliarden Euro verdient werden.
    Es kam daher nicht ungelegen, dass in diesem Moment unser Freund Aono aus Tokyo anrief.
    »Und? Wie ist’s?«
    »Nett, aber viel mehr nun auch wieder nicht.«
    »Ihr braucht noch Nachhilfe. Morgen bekommt ihr sie. Von Daisuke Inoue.«
    »Wer soll das sein?«
    »Der Mann, der die erste Karaoke-Maschine erfunden hat.«
    »Oh. Ist er sehr reich? Lebt er in einem Schloss, auf einer Jacht, in einem Flugzeug, das stets um die Erde kreist?«
    »Im Gegenteil. Er hat damals vergessen, ein Patent anzumelden. Über ein kleines Geldgeschenk würde er sich sicher sehr freuen.«
    »Oh.«
    Pünktlich um neun standen Gamdschie und ich am nächsten Morgen vor Inoues Büro. Es befindet sich in einem zweistöckigen Wohnhaus im Niemandsland zwischen Osaka und Kobe. Nichts weist darauf hin, dass hier der Erfinder einer Milliardenindustrie lebt. Am wenigsten der Erfinder selbst.
    Er, 69, trägt meist Jeans, Jackett, Turnschuhe, Bärtchen und die grauen Haare zum kleinsten Pferdeschwanz der Welt gebunden. Die Frage war nun, wie man den Erfinder möglichst respektvoll danach fragen würde, warum er die Patentierung versemmelt hat. Am besten direkt: Also – warum, Herr Inoue?
    Inoue lächelte. Wohl nur die Frage »Wie geht’s?« wurde ihm im Leben öfter gestellt.
    »Nun, es liegt im Wesentlichen daran, dass ich kein professioneller Erfinder war und meine sogenannte ›Erfindung‹ auch nicht für eine hielt. Oder würden Sie etwas patentieren lassen, das Sie für gar nichts Besonderes hielten?« So geht die Formel, mit der Inoue sich den Verlust unfassbaren Reichtums einigermaßen erträglichredet. Dass es nicht leicht ist, sie selber zu glauben, hört man aus jeder Zeile.
    Inoue erzählte von der Zeit damals, als er Drummer in einer von Kobes Jazzbands war, und wie ihn ein Zuhörer, Chef eines Stahlwerks, darauf brachte, dass es keine ganze Band brauchte, um einen Möchtegern-Sänger zu begleiten, sondern bloß eine Maschine. Diese ließ Inoue dann aus einem Gitarrenverstärker, einem Autoradio-Kassettendeck und einem Mikrofon zusammenbauen. Er entwickelte noch eine Technik, mit der man einzelne Stücke anwählen konnte, und fertig war die erste Karaoke-Maschine: der kleine rote Kasten, der vor ihm auf dem Tisch stand, und der für eine 100-Yen-Münze Sinatras Backing-Band überflüssig gemacht hatte. Erst in den Nachtklubs von Kobe, die Inoue mit seiner Maschine belieferte, später in der ganzen Welt, dann aber von anderen – Super Jankara und Big Echo, Firmen wie Pioneer, MegaStar, Panasonic und deren Ingenieuren.
    Inoue selber verdiente später noch ein paar Yen mit einer Kakerlakenvernichtungsmaschine, die er sich ausdenken musste, weil die Kakerlaken immer seine Karaoke-Kassetten anfraßen; heute vertreibt er eine allergenfreie Seife und kümmert sich um Hundewaisen. Es gibt ein Buch und einen Film über ihn, ab und zu wird er zu Vorträgen eingeladen, ansonsten führt er das Leben eines Pensionärs.
    Doch so gering er sein Werk auch redet, seine Leistung will Inoue sich völlig zu Recht nicht nehmen lassen. Er hat den eigentlich schüchternen Japanern ein neues Gefühl geschenkt, das Status, Stand und Hierarchien, die das Land sonst bestimmen, einen Moment lang aushebelt: den Rausch.
    Es ist genau dieser

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