Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fischer
Vom Netzwerk:
wie er die Terroristen in seiner 60-qm-Wohnung untergebracht hätte. Und dazu noch die ganzen Waffen! Und das Geputze hinterher! (Uwes Wohnung ist sehr viel größer als meine.)
    Ich dagegen wollte nie bei den Terroristen mitmachen, auch später nicht, als sie alle schon so lange tot waren, dass sie zu Legenden wurden.
    Meine Abneigung gegen die RAF hat nicht bloß damit zu tun, dass mein Vater den Worten von Ulrike Meinhof nach ein Schwein war, das es umzubringen galt, und mir die Gesichter auf den Fahndungsplakaten so vorkamen, als sei jedes einzelne von ihnen bloß darauf aus, unseren Opel Kadett zu sprengen. Es liegt auch nicht daran, dass ich generell gegen bewaffneten Widerstand bin: Den Kampf, den Menachem Begin und die Irgun in Israel gegen die Briten veranstalteten, um den Judenstaat zu erzwingen, verstehe ich genauso wie den Aufstand der kubanischen Revolutionäre gegen das Batista-Regime. Den Terror der PLO konnte ich ebenfalls nachvollziehen – würde mich jemand aus meinem Land werfen wollen, könnte auch ich zum Krieger werden.
    Nein, dass ich die RAF nicht mochte, hat vor allem mit meinem Sinn für Stil und Anstand zu tun, und der fehlte der RAF leider völlig.
    Sexy, lässig, gut gekleidet und glamourös wie Popstars – so sehenviele meiner Bekannten Baader und Ensslin noch heute. Sie sagen, dass Baader ein cooler Hund war, weil er Autos klaute, eine Sonnenbrille trug und Frauen, auch die Ensslin, gern »Fotzen« nannte. Sie verehren Baader, weil er eine Jeans anhatte, die so eng war wie die von Jim Morrison, sehr eng also, und weil Baader die Betten seiner Künstlerfreunde, in deren Wohnungen er sich versteckte, enteignete mit den Worten »Alles für die Revolution!«, um sich selbst reinzulegen.
    Entschuldigung, aber: Seine Geliebte eine Fotze zu nennen, finde ich auch unter Terroristen sehr unhöflich, und ich bezweifle stark, dass Clyde Barrow, mit dem Baader oft verglichen wurde, seine Kumpanin Bonnie jemals so angeredet hat. Warum Jim Morrison Glamour verkörpern soll, verstehe ich bis heute nicht: Morrison sah aus, als würde er schlecht riechen, dazu schrieb er Gedichte, die noch schlechter rochen. Und nennt mich einen Spießer, aber wenn mich irgendjemand, selbst ein Terrorist mit einer Heckler & Koch im Anschlag, aus meinem Bett vertreiben wollte, würde ich ihn, ohne noch mal nachzudenken, mit der Nachttischlampe meiner Freundin erschlagen.
    Was nach all diesen schlechten Umgangsformen ästhetisch von den Terroristen übrig bleibt, sind Sonnenbrillen und geklaute Autos. Gegen die Brillen hab’ ich nichts, aber jemanden zum Idol zu machen, bloß weil er eine Sonnenbrille trägt, ist in etwa so, wie sich in jemanden zu verlieben, nur weil er Pizza mag oder gern mal ein Bier trinkt oder ähnlich superindividualistische Dinge tut. Und seit ich mein eigenes Auto mal geknackt habe, weil ich den Schlüssel verloren hatte, weiß ich, dass es wirklich so leicht ist, wie sie es in den Filmen immer zeigen. Man muss nur die Kabel rauswühlen.
    Anstelle von Baader war mein Vorbild aus den Siebzigern eher der Schauspieler James Garner, der in der Serie »The Rockford Files« den Privatdetektiv Jim Rockford verkörperte. Garner war so, wie Männer sein müssen: entschlossen, smart und anständig, ohnesich anzubiedern – kein Proll wie Baader, sondern ein Gentleman, der nur zuschlug, wenn es wirklich nicht anders ging.
    Klar gab es auch an der RAF ein paar Dinge, die mir gefielen, besonders zu Anfang. Das Heimkind Boock, von RAF – Sympathisanten als Verräterschwein verschrien, war mir in seiner Verlorenheit immer sympathisch, genauso Meinhofs Analysewahn, der auch Reich-Ranicki beeindruckte – und beim Stammheim-Prozess den US – Präsidenten Nixon in den Zeugenstand zu rufen, um zum Vietnamkrieg auszusagen, ist nicht nur eine sehr lustige, sondern auch eine sehr gute Idee, gerade heute. Die Triebfeder der RAF aber, und das macht den Unterschied zu Irgun, PLO und Castros Rebellen, war nie eine direkte Unterdrückung, sondern das Leiden an der eigenen Herkunft, an Hitlerdeutschland. Anstatt aus dieser völlig richtigen Empfindung aber mit friedlichen Mitteln Altnazis und Mittäter aufzuspüren und die Auseinandersetzung mit ihnen zu erzwingen, meinte die RAF, den nicht existenten bewaffneten Aufstand der Deutschen gegen die Nazis mit einem existenten Aufstand gegen die BRD nachholen zu müssen. In dieser Mischung aus heroischer Underground-Inszenierung und Selbstjustiz fiel die RAF in die Hölle,

Weitere Kostenlose Bücher