Die Sache mit dem Ich
den geschlossenen Augenlidern nur auf das wohlige Kribbeln im Nacken konzentriert. Es ist so ein Bild, das ein Junge im Kopf hat, wenn ihm klar wird, dass er sich in das Mädchen, das ihm gegenübersitzt, verliebt hat. Es ist ein Moment der Klarheit.
»Ich kann immer noch nicht glauben, was für ein Arschloch das eben war, da unten in der Bar«, unterbricht Kate meine Gedanken, »wir müssen uns dringend an ihm rächen.« – »Gute Idee«, sage ich und zünde mir auch eine Zigarette an, »aber was tun wir? Eine Rockerbande vorbeischicken, die ihn ordentlich vermöbelt?« – »Wenn wir Kirschen hätten«, sagt Kate, während sie sich über das Geländer beugt und vorsichtig zum Garten der Bar hinunterschaut, »könnten wir die Kerne auf seinen Kopf spucken. Wir haben aber keine Kirschen. Nur Zigaretten.« – »Dann aschen wir ihm eben auf den Kopf«, sage ich und schnippe an der Zigarette. Kate lacht. Sie setzt sich auf den Boden des Balkons, öffnet ein weiteres Röhrchen ihrer Vitaminpillen und zündet sich noch eine Marlboro Light an.
Zigaretten und Medizin, das sei nicht gut zusammen, erkläre ich ihr. Sie wisse das, sagt sie, aber sie habe bereits als Zehnjährige mit dem Rauchen begonnen. »Erst hat mich meine Mutter dafür gehasst, doch als sie angefangen hat, mich selbst um Zigaretten anzuschnorren, und mir am Ende dann zwölf Packungen schuldete, war sie ruhig.« Es klopft an der Tür, und ein Kellner kommt herein. »Wir wollten eigentlich, dass Ihr Chef hier antanzt«, sagt Kate, enttäuscht darüber, dass es nicht der Mann aus der Hotelbar ist. Wir stellen die Cappuccino-Tassen vor uns auf den Boden und sagen einen Moment lang nichts, weil die Sonne so gut auf unser Gesicht scheint. Kate setzt sich ihre neue Sonnenbrille auf und beginnt, von ihrer letzten Reise mit Johnny Depp durch den Norden Arizonas zu erzählen. »Es war wie in ›Unterwegs‹«, sagt sie, »wir sind nämlich immer auf der Suche nach den magischen Punkten dieser Erde, das sind Orte, an denen eine besonders starke Erdstrahlung herrscht.«
»Es ist gut, wenn Mädchen ein bisschen was von Magie verstehen.« Kate erzählt davon, wie Johnny und sie mit dem Auto nach Sedona gefahren sind, einem Ort in der Nähe von Flagstaff, über den sich die Navajo-Indianer wundersame Legenden von ewigemLeben erzählen. Man dürfe dort aber nicht zu lange bleiben, sagt Kate, weil einen die Strahlung sonst verrückt mache: »Das Herz schlägt schneller, und alle Sinneswahrnehmungen sind überaktiviert, als hätte man ein starkes Halluzinogen genommen.« So habe sie seltsame Träume gehabt in der Nacht – in einem trafen sich alle Menschen, die sie jemals in ihrem Leben kennengelernt hat, in einer kalifornischen Taco-Bar; in einem anderen wurde sie von einem Arzt verfolgt, der ein wenig wie Allen Ginsberg aussah und sie nach jedem Einschlafen wieder aufweckte, damit sie ihm ihren Traum erzählte. »Es war total komisch«, sagt sie, »zum Glück war Johnny immer dabei.«
Das Telefon klingelt, und einen Moment lang habe ich ein wenig Angst, dass jetzt wirklich Johnny Depp hier auftaucht. Kate hat mir erzählt, er komme noch irgendwann heute Abend in Paris an. Ich habe nichts gegen ihn, er ist ein ganz guter Typ, glaube ich, aber wie Kate da so am Telefon herumzappelt, wird mir klar: Der Balkon, auf dem wir sitzen, ist viel zu klein für drei Leute – Johnny Depp würde diese wunderbare Ruhe zerstören, die ich hier mit der Kaffeetasse und der Zigarette in der Hand gerade empfinde.
Ich denke daran, wie ich vorhin noch im Foyer des »Ritz« saß, unter den Blicken der Portiers, und auf einmal etwas nervös wurde und aufgeregt, weil ich vergessen hatte, wie Kate Moss genau aussieht. Ich sprach dann zwei Frauen darauf an, ob sie nicht vielleicht Kate seien, was sie natürlich verneinten. Ich glaube, das tat ich deshalb, weil Kate gar nicht auf eine besondere Art gut aussieht. Das ist auch ihr Geheimnis – dass sie aussieht, wie ein gutes Mädchen aussehen muss, und dass viele gute Mädchen ein bisschen so aussehen wie sie. Aber Kate sieht eben noch ein kleines bisschen besser aus.
»Möchtest du auch einen Gin Tonic trinken?«, ruft sie zu mir herüber, den Telefonhörer in der Hand. Gin Tonic, das ist ihr Lieblingsgetränk, habe ich gehört, deshalb sage ich Ja, obwohl ich mir sonst nicht so viel aus Gin Tonic mache. Aber ich darf jetzt auf garkeinen Fall etwas tun, das die Stimmung stören könnte. Kurz nachdem Kate vom Telefon zurückgekommen ist,
Weitere Kostenlose Bücher